Tagebuch der arabischen Revolution
Autor: Karim El-Gawhary
Verlag: Kremayr & Scheriau
Umfang: 240 Seiten
Kurzinformation zum Buch
Monatelang hat Karim El-Gawhary fast nonstop vom Aufstand in der arabischen Welt berichtet: in Facebook-Postings, Twitter-Tweets, in seinem Blog, in Zeitungsreportagen und natürlich im TV.
In dieser Zeit ist er zum Gesicht der arabischen Revolution im ORF geworden. Sein Buch ist ein Zeitdokument der besonderen Art, der Leser wird noch einmal hautnah auf eine Reise mitgenommen: zu den Vorboten der Revolution, dem ersten Aufflammen in Tunesien, den Tagen des Zorns auf dem Tahrir-Platz und dem Kampf der libyschen Rebellen um Freiheit und Würde. Das Buch schließt mit den Monaten nach der Revolution in Ägypten, wo sich entscheiden wird, ob der demokratische Neubeginn in der arabischen Welt Bestand haben kann.
Leseprobe aus »Tagebuch der arabischen Revolution«
Willkommen im neuen Arabien
Auf dem Abdel-Moneim-Riad-Platz im Zentrum Kairos, nicht weit vom Tahrir-Platz entfernt, schiebt sich ein Mann langsam in seinem klapprigen, alten Rollstuhl voran. Zwischen seine Schenkel hat er einen Topf schwarzer Farbe geklemmt. In der Hand hält er einen Pinsel. Mühsam beugt er sich herunter, um den Bordstein anzustreichen. Er kommt nur langsam voran. In der nächsten halben Stunde wird er gerade mal ein paar Meter schaffen. Den Bürgersteig zu verschönern ist, einen Tag nach dem Sturz des Pharaos Hosni Mubarak, sein persönlicher Beitrag zur ägyptischen Revolution.
Noch vor wenigen Wochen hat er sich mit seinem Rollstuhl wahrscheinlich an einer der Straßenkreuzungen an den Reihen der wartenden Fahrzeuge entlanggeschoben, um bei Rot an deren Fenster zu klopfen und ein wenig Geld zu erbetteln. Doch an diesem Tag lächelt er und antwortet auf die Frage, was er denn da mache, mit einem kurzen: „Das ist jetzt mein Land." Dann taucht er den Pinsel wieder ein und beugt sich in Zeitlupe wieder herunter. Gibt es ein besseres Symbol dafür, wie nicht nur dieser Mann, sondern ein ganzes Land seine Würde wiedergefunden hat?
Die ganze Welt hielt in den ersten Wochen der Revolution Anfang des Jahres 2011 den Atem an. Durch ihre schiere Masse und ihre unglaubliche Sturheit, immer wieder friedlich auf die Straße zu gehen, brachten die Araber auch die repressivsten Regime ins Wanken. Die Faszination dieser Freiheitsbewegungen entstand auch dadurch, dass die reale Macht des Volkes auch im fernen Europa greifbar und erfahrbar wurde. Was da geschah, mutete wie ein modernes Politmärchen an, dessen Inspirationskraft sich kaum jemand entziehen konnte. Und es blieb nicht bei einem Land - es wurde die Zeit der Tausendundeinen Revolution.
Es ist ein Privileg, ein wahres Geschenk des Schicksals, als Journalist und Zeitzeuge live in Tunis, Kairo und Bengasi dabeigewesen zu sein. Vor 20 Jahren habe ich während der Operation Wüstensturm von Bush Senior aus der Region zu berichten begonnen. Ich habe zwei palästinensische Intifadas begleitet, einen weiteren Krieg im Irak, diesmal mit Bush Junior, einen im Libanon, einen im Gazastreifen. Während der Präsidentschaftswahlen im Iran musste ich das Scheitern des grünen Aufstands gegen Ahmadinedschad miterleben. Es waren allesamt besondere, meist tragische Momente, aber auch verbunden mit dem Gefühl, gerade an dem Ort zu sein, an dem etwas Wichtiges geschieht, etwas, das die Welt zum Teil wochenlang in Atem hielt. Die Geschichten aus diesen Zeiten waren meist traurige Geschichten, von Menschen, die in diesen Kriegen lebten und überlebten und nicht selten starben. Viele Bekannte und sogar enge Freunde, die bei sinnlosen Anschlägen ums Leben kamen, habe ich über die Jahre verloren. All die Kriege und Attentate hatten eines gemeinsam: Sie brachten kaum Veränderungen und wenn, dann meist zum Schlechteren.
Als ich Anfang Januar in Tunis am Flughafen an der Passkontrolle stand, bekam ich eine Gänsehaut, nicht vor Angst, sondern vor gespannter Erwartung. Als mich der Grenzbeamte im revolutionären Tunesien begrüsste, fragte er mich, was ich über „ihre", die tunesische, Revolution denke. Ein arabischer Polizist sprach von „unserer Revolution", mit mir, einem Journalisten, der ein paar Wochen zuvor für die Einreise zur Arbeit als Reporter im Polizeistaat Tunesien kein Visum bekommen hätte. Jetzt stempelte er die Einreiseerlaubnis beiläufig während des Gesprächs in meinen Pass und wünschte mir einen angenehmen revolutionären Aufenthalt. Bei der Annahme des Gepäcks drehte ich mich mehrmals ungläubig zu dem Beamten um. „Willkommen im neuen Arabien", dachte ich mir und hatte keine Ahnung, welcher weitere Wirbelwind meiner Region bevorstand.
Die bekam ich erst, als die Tunesier immer wieder fragten, wann es bei uns in Ägypten losgehe. „Sobald ich zurück zu Hause bin", witzelte ich, und hatte wieder keine Ahnung, wie schnell dieser Scherz Wirklichkeit werden würde. Ich war gerade zurück in Kairo, da hatten die ägyptischen Jugendlichen via Facebook für ihre eigenen Tage des Zorns mobilisiert. Meine revolutionäre journalistische Achterbahnfahrt wollte nicht aufhören.
Gut, dachte ich mir, wenn die Umwälzung in Ägypten klappt, dem bevölkerungsreichsten arabischen Staat, dem Herzstück der arabischen Welt, der Umm El-Dunia, der Mutter der Welt, wie die Ägypter ihr Land nennen, dann, da war ich mir sicher, steht der gesamten arabischen Welt ein revolutionärer Tsunami bevor. Dabei war ich überzeugt, dass der Wandel Länder wie Libyen zuletzt erreichen würde. Gaddafis Reich war für mich das Bollwerk der unterdrückerischen Regime in der Region, eine Art arabisches Nordkorea. Auch dort würde die Geschichte nicht vorüberziehen, dachte ich mir. Aber die Revolution würde dort zuletzt ausbrechen.
Ich hatte mich wieder getäuscht. Es dauerte nicht lange, und ich packte in Kairo meine Koffer, um mich in die Hochburg der libyschen Rebellen, ins befreite Bengasi, aufzumachen.
Die Revolutionen begannen überall auf ähnliche Weise: Den Anfang machten meist Jugendliche, die zuvor mit der alten, stets stagnierenden Politik der arabischen Welt nichts am Hut hatten. Sie entwickelten neue Methoden, mit modernen Medientechnologien wie Blogs, Facebook und Twitter die Regime einfach zu überrumpeln. Sie taten es ohne jegliche charismatische Führung, als revolutionäres Kollektiv, dem kein Sicherheitsapparat beikommen kann.
Die Revolutionen hatten ein wichtiges gemeinsames Merkmal: Die Menschen hatten über Nacht ihre Angst verloren. So las ich auf Twitter folgenden Eintrag: „Als wir furchtlos auf die Polizeiketten zugestürmt sind und die Polizisten auch noch vor uns davonliefen, dachte ich das erste Mal: Das ist eine Revolution." Erst war es eine kleine Gruppe, die sich nicht mehr einschüchtern ließ. Dann eine große Masse, die die Sicherheitsapparate mit einer Mischung aus Polizei, Staatssicherheit und angeheuerten Schlägern nicht mehr kontrollieren konnten.
Aber es war mehr als das: Menschen aus allen Gesellschaftsschichten hatten sich der Revolution angeschlossen - Studenten, Anwälte, Ärzte, Lehrer, Bauern, Beamte, Arbeitslose, und Beduinen, was sich in Kairo einmal in einer äußerst brenzligen Situation als sehr hilfreich erwies: Als Mubaraks Schläger auf Kamelen und Pferden den Tahrir-Platz attackierten, rutschte dort zunächst allen das Herz in die Hose. Doch auf dem Platz bei den Demonstranten waren auch ein paar Beduinenjungs, die wussten, wie man ein Pferd in den Schwitzkasten nimmt und mit einem gekonnten Seitenschwung zu Boden zwingt, und dieses Wissen gaben sie den anderen weiter. Da nützten den Reitern auch ihre Knüppel nichts mehr: Am Ende hatte Mubarak die ganze Gesellschaft mit ihrem geballten Wissen gegen sich. Dagegen konnte er nichts mehr ausrichten. Drei Jahrzehnte Willkür, Korruption und Misswirtschaft hatten einen Volksaufstand im wahren Sinne des Wortes provoziert.
Dieser zog sich durch alle Generationen. Eine Anwältin in Kairo erzählte mir die Geschichte ihrer 16-jährigen Tochter, die Tag und Nacht auf dem Tahrir-Platz war. Eines Morgens erhielt die Anwältin einen panischen Anruf einer Bekannten, die ihr erzählte, dass sie unter ihrem Fenster gerade Karawanen mit Pferden und Kamelen sehe, auf denen mit Knüppeln bewaffnete Reiter säßen, die auf dem Weg zum Tahrir-Platz seien und sicherlich nichts Gutes im Sinn hätten. Die Anwältin ließ in ihrer Kanzlei im Zentrum Kairos alles liegen und stehen und lief zum Tahrir-Platz, um ihr einziges Kind dort heil herauszuholen. Als sie ankam und ihre Tochter schließlich fand, während gleichzeitig die Schläger über den Platz herfielen, schrie sie sie an, was sie denn hier noch mache und warum sie sich nicht in Sicherheit gebracht habe. Die Tochter sah ihre Mutter nur entgeistert an und schrie zurück, was sie hier zu suchen habe, jetzt müsse sie nicht nur den Tahrir, sondern auch noch ihre Mama vor den Schlägern schützen. Am Ende hatten beide den Platz erfolgreich verteidigt.
Gerade einmal ein halbes Jahr vor der Revolution hatte ich als Journalist selbst begonnen, mit den neuen Medien zu experimentieren. Zunächst, indem ich meinen eigenen Blog mit dem Namen „Arabesken" (blogs.taz.de/arabesken) begann und dort auch über die Willkür der arabischen Regime meine Einträge schrieb. Dann, indem ich meine eigene Facebookseite facebook.com/Karims.Arabesken und mein Twitter- Konto twitter.com/gawhary eröffnete. Das war zu einer Zeit, als uns die ersten Statistiken überraschten, die besagten, dass es in Ägypten bereits mehr Facebook-Nutzer als Tageszeitungs- Leser gäbe. Das war an sich schon bemerkenswert. Dass ausgerechnet Blogs, Facebook und Twitter die neuen Instrumente werden sollten, mit denen zum Aufstand mobilisiert wurde, das hatten sich selbst die Internet-Aktivisten in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können.
Was liegt da näher, als die Ereignisse selbst mit Blog-Einträgen, Facebook-Postings und Twitter-Tweets wiederzugeben? Indem es diese mit Zeitungsreportagen und Live- Gesprächen für Radio und Fernsehen mischt, versucht dieses Buch etwas Neues: mit aus dem Moment geschriebenen und gesprochenen Beiträgen eine Unmittelbarkeit herzustellen und den Leser auf eine ungestüme, ungewöhnliche revolutionäre Abenteuerreise mitzunehmen. Das Buch ist ein Rückblick, ein Zeitdokument, das die Leser direkt zu den Orten und Zeiten bringt, an denen die Revolution stattgefunden hat. Nach dem Raumschiff-Enterprise-Motto: „Scotty, beame mich zum Tahrir-Platz!"
Dies ist keine Analyse, keine Nacherzählung oder Aufzählung der Ereignisse, die die arabische Welt praktisch über Nacht umwälzten. In vielerlei Hinsicht waren diese zu groß, zu schnell, zu komplex für uns Journalisten, um sie zu begreifen, zu beschreiben und in erklärbaren Portionen an die Leser, Zuschauer und Zuhörer weitergeben zu können. Die Jugendlichen auf der Avenue Bourguiba in Tunis, auf dem Tahrir-Platz in Kairo und die Revolutionäre vor dem Gerichtsplatz in Bengasi, sie alle haben in einer Geschwindigkeit Geschichte geschrieben, mit der wir Journalisten nur atemlos versuchen konnten mitzuhalten. Meist liefen wir den Ereignissen hinterher, angesteckt von ihrer Wichtigkeit und dem Enthusiasmus jener, die sie vorantrieben.
Es sind Nahaufnahmen aus der Revolution: Denn hier geht es nicht um die arabische Revolution als Studienobjekt, es geht um die zahllosen Menschen, die sie getragen haben, ihre persönlichen Motive und ihre Träume. Was hat sie bewegt, nach drei Jahrzehnten Herrschaft Hosni Mubaraks auf die Straße zu gehen? Was bedeutet es, plötzlich seine Angst zu verlieren, im Tränengasnebel zu stehen, von der Polizei niedergeknüppelt zu werden, seinen Freund neben sich zu sehen, der von einem Scharfschützen des Regimes niedergestreckt wird, und doch am nächsten Tag wieder auf die Straße zu gehen? Welche Verzweiflung, welcher unglaubliche Mut, aber auch welcher Optimismus steckt dahinter? Warum sind eigentlich immer mehr und noch mehr Menschen auf den Tahrir-Platz gekommen?
Exemplarisch dafür, wie die Ereignisse immer mehr Menschen in ihren Bann gezogen und gegen das Regime mobilisiert haben, ist die Geschichte des ägyptischen Chirurgen Tarek Hilmi, der mitten in der Revolutionszeit in einer bekannten Talkshow einer privaten ägyptischen Fernsehstation einen denkwürdigen Auftritt hatte, der vieles erklärt: wie die Jugendlichen den Anfang machten, wie langsam eine ganze Familie zu Revolutionären wurde und wie eine Geschichte ein Millionen-Fernsehpublikum dazu zu brachte zu sagen: „So geht es nicht weiter, wir müssen etwas unternehmen."
Er sei ein völlig unpolitischer Mensch, erzählte Hilmi in der Talkshow „10 Uhr abends" im ägyptischen „Dream TV" am 7. Februar 2011, geleitet von der prominenten Moderatorin Mona Schazly. Sein Leben habe sich bisher zwischen seiner Familie zu Hause und dem Operationssaal im Krankenhaus abgespielt. Zunächst kamen hauptsächlich Jugendliche auf den Tahrir-Platz, die sich über Facebook verabredet hatten. Eine von ihnen war Tarek Hilmis Tochter, die ihrem Vater in den ersten Tagen verkündete, dass sie nun auch zum Tahrir gehe, weil alle ihre Freunde dort seien. Ihr Vater und auch ihr Bruder versuchten es ihr auszureden. Das sei zu gefährlich und „Was haben wir mit Politik zu tun?", meinten sie. Die junge Frau ließ sich aber nicht davon abhalten. Bald darauf erhielt der Arzt einen Anruf von seinem Sohn, der noch kurz zuvor versucht hatte, seiner Schwester den Tahrir auszureden. „Papa", sagte er am Telefon, „einige meiner besten Freunde wurden auf dem Tahrir verletzt, ich muss dort hin." Weder Tochter noch Sohn kamen nach Hause, sie übernachteten auf dem Platz. Der Arzt erzählt in der Talkshow weiter, dass er kurz darauf einen Anruf von seiner Tochter erhalten habe. Sie flehte ihn an, selbst auf den Platz zu kommen. Es gebe zu viele Verletzte, und Ärzte wie er wuürden dringend in dem improvisierten Krankenhaus des Platzes gebraucht. Tarek Hilmi war überzeugt, dass seine Tochter übertreibe. Aber er ließ sich trotzdem überreden, ein kleines Team zusammenzustellen und auf den Platz zu kommen. Er sollte den Platz tagelang nicht mehr verlassen.
Dann erzählte er in der Talkshow von seinen eigenen Erlebnissen, von einem 13-jährigen Jungen, den die Schläger Mubaraks am Rand des Platzes in ihre Fänge bekommen hatten. Er hatte eine tiefe Schnittwunde quer über den Kopf. Der Arzt vernähte die Wunde, doch als er sie verbinden wollte, lief der Junge davon. „Ich habe keine Zeit, ich muss unseren Platz verteidigen", rief er noch. In der Talkshow gerät Tarek Hilmis Stimme ins Stocken, bricht, er kann nicht mehr weitersprechen. Lange versucht die Moderatorin ihn zu beruhigen, bevor der Arzt die Geschichte weitererzählen kann. Er habe den Jungen noch einmal gesehen, führt er weiter aus. „Mit einem Kopfschuss, einem Loch im Kopf - er war tot."
Die Show, „10 Uhr abends" hat ein Millionenpublikum. Am nächsten Tag, einem Dienstag, es war ein Tag, an dem die Aktivisten auf dem Tahrir-Platz nicht besonders mobilisiert hatten, das war meist dem Freitag vorbehalten - an diesem Dienstag fanden sich mehr Menschen auf dem Platz ein als je zuvor, weit über eine Million.
Es gab viele solche Geschichten, die die Menschen auf die Barrikaden gebracht haben und die erklären, warum sie immer zahlreicher auf den Tahrir-Platz kamen, warum sie eine kritische Masse erreichten, mit der kein Sicherheitsapparat der Welt mehr umgehen kann. Auch wenn beileibe nicht jeder und jede auf den Platz kam, am Ende hatte ein ganzes Land den Tahrir-Platz als Konzept im Kopf und trug ihn im Herzen. Das war das Ende des Unrechtsregimes Mubaraks, wovon zuvor kaum jemand zu träumen gewagt hatte.
Hätte man ahnen können, dass der arabischen Welt ein solches Erdbeben bevorsteht? Jahrzehntelang hatten die ägyptischen Intellektuellen von einer bevorstehenden Explosion gesprochen. Das erste Mal habe ich solchen Diskussionen Anfang der 1990er Jahre zugehört, als ich nach Kairo gezogen war. Es könne so einfach nicht weitergehen. Die Schere zwischen Arm und Reich werde immer größer, die Korruption, die Willkür, die Unterdrückung immer unerträglicher. Demnächst werde es, müsse es knallen. Sie haben es so oft wiederholt, bis sie es selber nicht mehr glaubten.
Aber ich erinnere mich auch an den großartigen, inzwischen verstorbenen ägyptischen Politologen Mohammed Sid Ahmad, der mir jungem Journalisten in seiner Wohnung auf der Nilinsel Zamalek oft und oft in druckreifen Worten in meinen Notizblock diktiert hatte, wie die arabische Welt funktioniert. Auch er sprach immer wieder von der bevorstehenden Explosion und lachte schon selber darüber. Aber er sagte auch: „Wenn hier in Ägypten die Revolution ausbricht, wirst du 24 Stunden vorher keinen Schimmer haben, was dir bevorsteht."
Aber vielleicht hätte man doch auch ohne Kristallkugel den Gang der Dinge voraussagen können, auch wenn nach jahrzehntelanger arabischer Autokraten-Herrschaft und vollkommener politischer Stagnation alles vermeintlich unveränderbar aussah. Man hätte diese von einer Armada von Sicherheitsapparaten geschützten Systeme als das ansehen können, was sie waren: historische Auslaufmodelle, mit denen kein Staat mehr zu machen war.
Ägypten schien mit seinem 83-jährigen, greisen Präsidenten wie politisch paralysiert. Zumal diese Lähmung mit der Diskussion, ob nicht die Macht Hosni Mubaraks weiter an seinen Sohn Gamal vererbt werden könnte, für eine Ewigkeit festgeschrieben schien. Die Mächtigen schienen fest im Sattel zu sitzen. Nicht zuletzt, weil man sie in Europa und in den USA als Garanten der Stabilität hofierte. Ab und an gab es Anzeichen eines wachsenden Unmuts, wenn die immer gleichen 200 Verdächtigen der Kifaya, der „Es reicht"-Bewegung, wieder einmal an einer Straßenecke Kairos protestierten. Oder wenn die Arbeiter der staatlichen Textilfabriken in den Ausstand gingen.
Doch der Sicherheitsapparat schlug jeden Protest nieder. Er war sich seiner Sache sicher. So sicher, dass zwei Polizisten in Alexandria im Juni 2010 auf offener Straße, vor Passanten als Augenzeugen, einen Jugendlichen zu Tode prügelten. Wer sollte in einem Land, das seit Jahrzehnten mit Notstandsgesetzen regiert wurde, die den Sicherheitsdiensten uneingeschränkte Macht gaben, schon etwas dagegen sagen können?
Normalerweise wäre ein solcher Vorfall bestenfalls in irgendwelchen Menschenrechtsberichten aufgetaucht, die bestenfalls von einem halben Dutzend ausländischer Journalisten gelesen worden wären, die dann das Ganze bestenfalls in irgendeinem Bericht über Ägypten erwähnt hätten. Aber manchmal wird die Würde einmal zu viel mit den Füssen getreten. Denn nicht das Brot, sondern dieses altmodisch klingende Wort „Würde" sollte in den folgenden Monaten im Zentrum des arabischen Aufstands stehen. Und die Polizistenschläger in Alexandria, die hatten ihre Rechnung ohne Facebook gemacht ...
Kairo: Die Tage des Zorns
24.1.2011
Die Ägypter kündigen ihren Aufstand auf Facbook an und verlieren auf der Straße ihre Angst
Arabesken, tazblog 24.1.2011
Adieu Aufstand in Tunis und Hallo „Tag des Zorns" in Kairo
Für morgen, den 25. Januar, wurde in Ägypten nach tunesischem Vorbild via Facebook, Twitter und Blogs zum Tag des Zorns gegen das Regime aufgerufen. Gegen das seit drei Jahrzehnten herrschende Regime Hosni Mubarak sollen eine Menge dezentraler Aktionen stattfinden.
In dem Aufruf heißt es: „Nachdem die tunesische Revolution dazu geführt hat, dass die Menschen ihre Hoffnung zurückbekommen haben, ihren eigenen Willen und ihre Rechte durchzusetzen, werden die Ägypter an diesem Tag ihre Meinung gegen die herrschende Macht zum Ausdruck bringen, die seit 30 Jahren eine Politik anführt, die nur der herrschenden Elite dient."
Was genau wo stattfinden wird, ist noch unklar, genauso wie die Antwort auf die Frage, wie die Sicherheitskräfte reagieren werden, die sicherlich auch das tunesische Beispiel genau studiert haben. Ich habe heute Abend mehrmals Befürchtungen gehört, dass es in dieser Nacht im Vorfeld eine Verhaftungswelle geben könnte. Bisher scheint es aber ruhig zu sein. Das Ganze ist jedenfalls ein Testfall, ob man mit Facebook, Twitter und Blogs tatsächlich eine kritische Masse auf der Straße mobilisieren kann und das in mehreren Orten Ägyptens gleichzeitig. Ich werde das morgen auf mich zukommen lassen und dann sicherlich darüber berichten.
25.1.2011
Tweets auf Twitter
25. Januar 2011, 10:11 Hilfe: Ägypten ist heute zu Protesten nach dem Modell Tunesien aufgerufen. Und im Libanon gibt's Schießereien zwischen Militär und Hariri-Leuten.
25. Januar 2011, 10:17 Die Straßen in Kairo sind aufgrund des Feiertages leer, aber überall ist Polizei. Bisher ist es ruhig.
25. Januar 2011, 12:58 Ich stehe mit Demonstranten vor Regierungspartei in Kairo. Sie rufen „Diebe, Diebe!"
25. Januar 2011, 12:58 Polizei schreitet nicht ein.
25. Januar 2011, 12:59 Ziehen weiter zum staatlichen Fernsehen.
Auf Facebook gepostet
25. Januar 2011, 13:51 Demo hat sich mindestens verdreifacht. Marschieren durch Abu El-Ella. Polizei ist verschwunden.
Tweets auf Twitter
25. Januar 2011, 14:25 Inzwischen wurde Demo von Polizei aufgehalten. An anderen Stellen in Kairo, z.B. in Schubra, hat die Polizei inzwischen begonnen zu prügeln.
25. Januar 2011, 14:26 Bin wieder zurück im Büro, muss schnell etwas schreiben und ziehe dann wieder los. Das verspricht ein interessanter Abend in Kairo zu werden.
25. Januar 2011, 14:26 Das Interessante war, dass uns die Polizei kilometerlang hat laufen lassen und es immer mehr Menschen wurden, die sich spontan angeschlossen haben.
Auf Facebook gepostet
25. Januar 2011, 14:43 In Mansura reißen sie gerade ein großes Bild von Mubarak runter. In der Textilstadt Mahalla Al-Kubra findet eine große Demonstration statt. In Ismailia versammeln sie sich gerade.
25. Januar 2011, 17:12 Am Tahrir-Platz versammeln sich Tausende. Ich komme gerade von dort. Die Polizei schaut im Moment zu.
25. Januar 2011, 17:56 Die Polizei geht mit Tränengas und Knüppeln gegen die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz vor. Sie schalten dort auch gerade das Licht aus. Das Handynetzwerk Mobinil wurde in der Innenstadt abgeschaltet. Auch Twitter funktioniert nicht.
25. Januar 2011, 18:32 Mein Handy funktioniert wieder. Netzwerk ist wieder eingeschaltet.
25. Januar 2011, 18:59 Um 19:30 kommt in der ZIB im ORF 2 unser Bericht von den heutigen Demonstrationen in Kairo. Leider haben wir nur eine Minute bekommen.
25. Januar 2011, 19:18 Jetzt baut sich eine Polizeikette vor unserem Bürofenster vor dem staatlichen Fernsehgebäude auf. Die nächste Demonstration kommt um die Ecke. Das sieht nicht so aus, als würde das nachlassen.
25. Januar 2011, 19:38 Bericht ist fertig. Ich gehe jetzt wieder zum Tahrir- Platz. Dort habe ich von meiner ARD-Rundfunkkollegin Esther Saoub gehört, dass sich die Polizei inzwischen wieder in die Seitengassen zurückgezogen hat. Es herrscht eine regelrechte Volksfeststimmung. Wer immer in Kairo ist, kommt zum Tahrir, da wird gerade Geschichte geschrieben.
25. Januar 2011, 21:19 Komme gerade vom Tahrir-Platz. Das ist wirklich ein Volksfest. Die Polizei hat sich zurückgezogen. Interessant war, dass einige Größen der ägyptischen Oppositionsparteien vorbeigekommen sind, um zu sprechen. Sie wurden von den Jugendlichen niedergeschrien. Sie sagten: „Was wollt ihr, das ist unsere Revolution!"
25. Januar 2011, 21:20 Allerdings habe ich auch gehört, dass in den Seitenstraßen einige Leute vom Geheimdienst verhaftet wurden.
25. Januar 2011, 21:22 Viele der Jugendlichen haben gesagt, dass sie auf dem Platz übernachten wollen. Leute bringen Essen und Getränke vorbei. Eine tolle Stimmung. Ich hoffe, es bleibt dabei und die Polizei macht in der Nacht keinen Unsinn.
Arabesken, tazblog25.1.2011
Der absolute Wahnsinn in Kairo
Das war zweifelsohne einer der aufregendsten Tage meines Lebens. Ich komme gerade vom Tahrir-Platz im Zentrum Kairos. Es ist 22:00 Kairoer Zeit. Tausende haben sich dort versammelt. Es herrscht eine Volksfeststimmung. Nachbarn bringen Kartons mit Wasser und Essen vorbei und verteilen sie an die Demonstranten. Läden haben geöffnet und stellen ihre Toiletten zur Verfügung. Viele Urheberrechtlich geschütztes Material 60 der Jugendlichen sagen, sie wollen heute auf diesem Platz übernachten. Ich bin dort dem ägyptischen Schriftsteller Alaa Al-Aswani begegnet, dessen Bücher auch ins Deutsche übersetzt wurden und der vor zwei Jahren mit dem Bruno-Kreisky-Preis ausgezeichnet wurde. Ich habe ihn gefragt, wie er sich heute fühlt. Seine Antwort: „Das ist ein historischer Tag, ab heute gibt es kein Zurück mehr."
Und auf meine Frage, ob Mubarak auch bald in ein Flugzeug steigt, hat er gelacht und gesagt: „Ich hoffe, dass das so bald wie möglich geschieht."
Interessant war das Verhalten der Polizei heute. Als die Demonstrationen mittags begannen, ist sie stundenlang überhaupt nicht eingeschritten. Wir standen vor dem Gebäude der Regierungspartei an der Niluferstraße, die Demonstranten riefen „Diebe, Diebe!" und die Polizisten standen da und verkniffen sich ein Lächeln. Einer zückte sein Handy, um ein Erinnerungsfoto zu machen. Ich habe ihn gefragt, warum: „So etwas habe ich noch nie erlebt", sagte er begeistert.
Dann gab es am Nachmittag doch ein paar Zusammenstöße mit der Polizei. Die ging mit Schlagstöcken gegen die Demonstranten vor, die jegliche Angst verloren haben und die Polizisten mit einem Steinhagel eindeckten. Am Ende liefen die Demonstranten hinter den Polizisten her, die zum ersten Mal in Ägypten selbst zu Gejagten wurden. Später hat sich die Polizei dann vollkommen vom Tahrir- Platz zurückgezogen. Sie wartete in den Seitengassen ab, was passiert. Nur eine Kette hat sich sicherheitshalber vor dem Ägyptischen Museum aufgebaut. Hoffentlich macht die Polizei heute Nacht keinen Blödsinn. Ich habe gehört, dass der Geheimdienst vereinzelt Demonstranten in den Seitengassen verhaftet hat. Aber es ist in der Tat schwer vorzustellen, wie das Regime die Situation noch herumdrehen kann, ohne ein Blutbad anzurichten. Dabei darf man nicht vergessen, dass meine heutigen Erlebnisse nur ein ganz kleiner Ausschnitt des heutigen Tages in Ägypten waren. Es fanden überall im Land ähnliche Demonstrationen statt, von Alexandria übers Nildelta bis zum Suezkanal.
Morgen wird sicherlich erneut ein aufregender Tag. Nur noch ein letzter Hinweis: Leider funktioniert Twitter im Moment nicht. Wer an regelmäßigen Updates interessiert ist, sollte auf meine Facebook-Seite zurückgreifen.
Auf Facebook gepostet
25. Januar 2011, 23:03 So, Schluss für heute. Ich fahre nach Hause. Morgen wird ein langer Tag. Ich muss um fünf aufstehen, für ein Live-Gespräch mit dem Schweizer Rundfunk und ein Frühstück für das Morgenjournal des ORF-Radios Ö1. Der Rest des Tages wird sicherlich lange und aufregend.
taz.de, 25.1.2011
„Diebe, Diebe!" rufen die Menschen
In mehreren Städten wurde gegen die 30-jährige Herrschaft von Präsident Mubarak demonstriert. Vorbild ist Tunesien. In Kairo mündete der friedliche Protest in Gewalt.
Kairo. In Ägyptens Hauptstadt ist es am Dienstag bei einer gegen das Mubarak-Regime gerichteten Demo zu Ausschreitungen gekommen. Dabei setzte die Polizei Tränengas und einen Wasserwerfer ein, um die Menschen auseinanderzutreiben. Einige Demonstranten warfen Steine, griffen einen Wasserwerfer an und forderten den Fahrer zum Verlassen des LKW auf. Als die Menschen eine Absperrung durchbrechen wollten, setzte die Polizei Schlagstöcke ein. Es war die größte Demonstration in Ägypten seit Jahren.
„Tunesien, Tunesien, lasst es uns machen wie Tunesien", hatte die kleine Gruppe von Demonstranten gerufen, die sich auf dem Tahrir, dem Platz der Befreiung im Zentrum Kairos, zur Mittagszeit versammelte. Es waren die 200 üblichen Verdächtigen aus der Kifaya-Bewegung („Es reicht!"-Bewegung), in Anspielung auf die drei Jahrzehnte dauernde Herrschaft von Präsident Hosni Mubarak: ein paar Schüler und Studenten, ein paar Intellektuelle.
Und dann geschah etwas völlig Neues. Der Demonstrationszug setzte sich in Bewegung und die angerückte Bereitschaftspolizei sah untätig zu. Als der Zug die Nilbrücke erreichte, waren es bereits doppelt so viele Menschen. „Nieder mit Mubarak!", riefen sie. Zwar sperrte die Polizei mit einer Kette die Nilbrücke ab, aber der Zug bog Richtung Niluferstraße ab.
„Das verspricht, ein interessanter Tag zu werden", meint Mustafa Hussein, einer der Demonstranten, der als Psychologe im Nadim-Zentrum arbeitet, das Folteropfer betreut. „Die Polizei hat offensichtlich die Anweisung, nicht einzuschreiten", glaubt er. Dann steht der Zug vor dem Gebäude der Regierungspartei. Auf dem Dach stehen einige Mitarbeiter und blicken hinunter, nehmen die Szene mit ihren Handykameras auf. „Diebe, Diebe!", schreien die Demonstranten. Ein Polizist auf der Straße zückt ebenfalls sein Handy, um die denkwürdige Szene aufzunehmen. „Das habe ich noch nie erlebt", grinst er.
„Kommt mit, streift eure Angst ab", rufen die Demonstranten den Passanten zu. Viele schließen sich spontan an. Zu diesem Zeitpunkt hat sich die Länge des Zuges bereits verzehnfacht. „Ich bin 20 Jahre alt, ich habe nichts anderes als Mubarak erlebt. Ich bin heute das erste Mal auf eine Demonstration gekommen, einfach um zu zeigen, dass es genug ist", erklärt Islam Hassan, der gerade begonnen hat, als Übersetzer zu arbeiten. „Ich habe Glück gehabt, viele meiner Freunde, die mit mir Deutsch studiert haben, haben keine Arbeit bekommen", erzählt er.
In Ägypten herrschen ähnliche Verhältnisse wie in Tunesien, mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit, Armut, grassierender Korruption und einer Machtelite, die seit Jahrzehnten das politische Leben monopolisiert hat. Bei den Parlamentswahlen im vergangenen Herbst war es zu massiven Wahlfälschungen zugunsten der Regierungspartei gekommen.
In Kairo finden gleichzeitig mindestens fünf weitere Demonstrationen statt. Mehrere tausend meist junge Leute haben sich in Schubra versammelt, einem Viertel im Zentrum Kairos, in dem viele Kopten leben. Dort spielten sie Katz und Maus mit der Polizei. Die hatte gerade mühevoll die Hauptstraße mit einer Polizeikette abgeriegelt, als die Jugendlichen in mehrere Seitengassen abbogen, um dann ein paar Straßen hinter der Polizeikette auf der Hauptstraße aufzutauchen. Vereinzelt kam es dort zu Prügeleien. Gleichzeitig wurde in Alexandria demonstriert, aber auch die Arbeiter der staatlichen Textilfabriken in der Nildeltastadt Mahalla Al-Kubra versammelten sich. Aus der Nildeltastadt Mansura kommen Berichte, dass Demonstranten große Mubarak-Poster abgerissen hätten. Auch in Ismailia am Suezkanal begannen sich am Nachtmittag Tausende Menschen zu versammeln. Selbst im Nordsinai fingen Beduinen an, in Richtung des Flughafens in Al- Arish zu ziehen.
Für den „Tag des Zorns" in Ägypten steht die tunesische Revolte Pate. „Nachdem die tunesische Revolution dazu geführt hat, dass die Menschen ihre Hoffnung zurückbekommen haben, ihren eigenen Willen und ihre Rechte durchzusetzen, werden die Ägypter an diesem Tag ihre Meinung gegen die herrschende Macht zum Ausdruck bringen, die seit 30 Jahren eine Politik anführt, die nur der herrschenden Elite dient", heißt es in einem Aufruf. Fast 80.000 Menschen hatten in den letzten Tagen via Facebook versprochen, sich den Protesten anzuschließen. „Das ist der Anfang vom Ende des Regimes", schrieben die Initiatoren des Protests auf Facebook.
26.1.2011
Auf Facebook gepostet
26. Januar 2011, 00:26 Die Polizei beginnt anscheinend den Tahrir-Platz in Kairo zu räumen, mit Wasserwerfern, Tränengas und Elektroschlagstöcken. Bin selbst nicht mehr da, aber habe ein paar Telefonate erhalten.
Arabesken, tazblog 26.1.2011
Der erste ägyptische Tag des Zorns
Für die ägyptische Protestbewegung gegen das Regime des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak gibt es eine neue Zeitrechnung: die Zeit vor und nach dem 25. Januar 2011. Die Organisatoren der von Tunesien inspirierten Proteste hätten sich wohl nie träumen lassen, dass ihre Aufrufe im Internet via Facebook, Twitter und Blog ein derartiges Echo finden werden. Überall im Land wurde gestern demonstriert, nicht nur in Kairo, sondern auch in Alexandria, den Nildelta-Städten Mansura, Tanta und der dortigen Textilarbeiterstadt Mahalla Al-Kubra. Aber auch in Ismailia am Suezkanal und selbst in Assiut in Oberägypten zogen die Menschen durch die Straßen und riefen „Stürzt Mubarak!" Die Sicherheitskräfte, die sich tagsüber zurückgehalten hatten und die bei den Versuchen einzuschreiten von den Demonstranten zurückgeschlagen wurden, nutzten schließlich die Gunst der Nacht und die Tatsache, dass viele Demonstranten zu später Stunde nach Hause gegangen waren.
Bei der größten Protestveranstaltung auf dem Tahrir im Zentrum Kairos, die den ganzen Abend in ein Volksfest umgewandelt worden war, nachdem sich die Polizei in die Nebenstraßen zurückgezogen hatte, schlug die Polizei schließlich um ein Uhr morgens zu und jagte die Demonstranten stundenlang durch die Nebenstraßen. Es ist noch unklar, wie viele Verletzte es dabei gab und wie viele Menschen verhaftet wurden. In der östlichen Nildeltastadt Mansura ereigneten sich ähnliche Szenen. Tagsüber eine völlig überforderte Polizei, die dann nachts mit Tränengas alles auflöste.
Der Tahrir-Platz der Befreiung in Kairo ist heute Morgen vollkommen aufgeräumt. Über Nacht haben die städtischen Reinigungskräfte alle Spuren des Protestes beseitigt. Die Regierung würde den gestrigen Tag wohl am liebsten vergessen machen. Ob das klappt, werden wir im Laufe des Tages sehen. Ich habe meine Zweifel.
Am Ende noch ein Hinweis: Twitter funktioniert immer noch nicht. Der Internet-Kurznachrichtendienst, den ich unter @gawhary benutze, um Leser und Leserinnen aktuell mit Nachrichten zu versorgen, ist in Ägypten blockiert. Ich werde daher versuchen, das gleiche auf meinem Facebook- Account zu machen.