Salz der Erde

Autor: Ernst Hinterberger
Verlag: echomedia Buchverlag
Umfang: 320 Seiten

Kurzinformation zum Buch

Als Ernst Hinterbergers Roman „Salz der Erde“ 1966 erstmals erschien, wurde er freundlich aufgenommen, aber die im Arbeitermilieu angesiedelte Familiengeschichte mit Mundart-Passagen verstörte doch manche.

Niemand konnte ahnen, dass dies der „Ur-Mundl“ war, der für die neben „Kottan“ wohl wichtigste ORF-Serie ab 1975 die Basis liefern sollte: „Ein echter Wiener geht nicht unter“ – mit Karl Merkatz in der Hauptrolle.

Mundl poltert über die Politik, die missratenen Kinder und was ihm sonst über die Bier-Leber gelaufen ist, er wird als Chef-Matschkerant in der Nachfolge Hans Mosers österreichweit populär.

Was das Fernsehen nicht zeigen konnte, findet man im Roman: einfühlsam beschriebene Gedankengänge, die zarten Seiten des Kraftsportlers und die letzten Zuckungen des Ständestaat-Miefs in den Sechzigerjahren – als ein Urlaub in Jesolo noch ein „Luxus“-Traum war.

Leseprobe aus »Salz der Erde«

… Etwas später trank Edmund Sackbauer halbwegs zufrieden sein Bier. Diese Sache wäre also erledigt! Jetzt würde bald alles vergessen und vergeben sein. Die Hanni war wieder sein Butzerl, denn wenn sie auch mit dem Kerl im Hotel gewesen war (das hatte er ihr in einigen Minuten herausgerissen gehabt, das war ein kleiner Fisch für ihn gewesen), hatte sie ihm vorhin doch hoch und heilig versprochen, den Franzl nie mehr wiederzusehen. Er grinste wider Willen, weil er ihm gar nicht zugetraut hatte, so scharf ranzugehen und sein Mädel ins Hotel zu schleppen, aber Irren war menschlich. Überhaupt war das seine schwache Seite, dass er den anderen ihre Schlechtigkeiten oft gar nicht zutraute, weil er selbst eben so ein grundsolider Typ war.

Dreinhauen, nichts wie dreinhauen musste man, sonst war man verraten und verkauft. Zum Glück hatte der wenigstens soviel Hirn besessen ... Doch der Teufel schlief nicht. Aber an so was wollte er jetzt nicht denken. Wenn da etwas los war, konnte er für nichts garantieren!

Weg, dachte er dumpf, weggeputzt von der Welt gehören solche Hundsviecher – dann wäre gleich alles anders. Die Hanni würde sich jedenfalls in Zukunft hüten, gegen seinen Willen eine Liebschaft zu haben ... und die zwei Watschen nahm ihr auch kein Herrgott mehr runter! »Mundl!«, hatte die Toni geschrien, aber in gewissen Angelegenheiten musste man die Weiber schreien lassen ... Jedenfalls merkte man sich eine ordentliche Watschen besser als die schönsten Ermahnungen.

Und den Karl würde er auch ... Oder vielleicht war’s besser...

Dann hörte er die Wohnungstür und gleich darauf das nervöse Gewisper seiner Frau. Aha, dachte er gespannt, jetzt geht gleich die zweite Partie los.

Karl war aus härterem Holz als Hanni. Er ließ sich nicht ohrfeigen, sondern parierte mit einer schnellen Bewegung die Hand des Vaters, grinste flüchtig und sagte fast im Gesprächston: »Na, na! Was sind denn das für Sachen?«

Edmund spürte den stechenden Schmerz im Handgelenk, trat einen Schritt zurück und schaute mit flackernden Augen auf seinen Sohn. Wieder – wie schon gestern – empfand er leise Angst vor diesem Brocken. »Was heißt, was sind das für Sachen«, schrie er zitternd vor Wut, weil er sich qualvoll seiner Ohnmacht bewusst wurde. »Das traust du dich noch zu fragen? Nicht antreten, und dann auch noch die Hand gegen deinen Vater aufheben?« Er ließ sich in den Sessel fallen und rang keuchend nach Luft.

»Aber geh«, sagte Karl gelassen, »deswegen hast du eine Wut? Da lachen ja die Hühner ...«

»Was?«, plärrte Edmund. »Wegen dir Hurenhund haben wir verloren gegen die depperten Floridsdorfer – und dir ist das zum Lachen? Du bist ja übergeschnappt, gehörst ins Irrenhaus! Wo wir uns doch schon mit einer Goldmedaille gesehen haben ... Und jetzt können wir uns höchstens ein Bierplattl umhängen! Verlassen haben wir uns auf dich! Aufopfern tut man sich, schiebt den Kindern alles rein und arbeitet sich für sie zum Krüppel, und dann erntet man so einen Dank! Na, ich kann dir nur sagen: Am liebsten wär’s mir, wenn ich schon hin wäre und unter der Erde – dort hätte ich wenigstens meine heilige Ruh!«

»Aber Vater«, sagte Karl beschwichtigend. Wenn er gewusst hätte, dass sich der Alte gar so aufregen würde, wäre er in Gottes Namen noch einmal angetreten. Über seinem neuen Beruf als Freistilringer hatte er eben auf seine ehemaligen Sportkameraden vergessen. Das war doch menschlich, und außerdem war diese ganze Stemmerei sowieso eine lächerliche Amateurangelegenheit.

»Ja«, sagte Edmund bitter, »du warst ja nicht dabei, wie die ganze Tragödie passiert ist. Und ich hab mich so aufgeregt, dass ich meinen dritten Versuch im Reißen verhaut hab – wo doch das Reißen meine Spezialität ist! Aber bei so einer Blamage wird man eben nervös – und schon ist’s geschehen.« Er begann wieder zu schreien. »So was gibt’s einfach nicht, dass einer seine Kameraden im Stich lässt! Darum will ich dir nur noch eines sagen, und auch die anderen lassen’s dir ausrichten: In unseren Verein brauchst du nicht mehr zu kommen! Wir sind kuriert von dir und wollen dich nicht einmal mehr von Weitem sehen! Bei uns hast du nichts mehr zu suchen, du Bankert, du dreckiger! Und dabei hast du doch genau gewusst, dass wir schon die Diplome ...«

Wenn Edmund Sackbauer geglaubt hatte, den Sohn durch das Vereinsverbot getroffen zu haben, hatte er sich gründlich getäuscht.

Karl blickte ihn impertinent an, grinste breit und begann dann grölend zu lachen. »Also, das ist das Beste! Das ist absolut unschlagbar, dass ihr mir den Verein verbieten wollt. Hin könnt ich werden vor lauter Lachen!«

»Was? Das kommt dir lächerlich vor? Das ist doch die härteste Strafe, die wir uns haben ausdenken können!«

»Strafe?«, grölte Karl. »Also hörst, ihr seids wirklich Typen! Ehrenwort! Ich will gar nicht mehr in euren Pimperlverein gehen, und wenn ihr mich auf den Knien darum bittet! Ich habe doch was viel Besseres aufgerissen!« Er grinste geheimnisvoll und sagte von oben herab: »Also – schau mich jetzt einmal gut an ...«

»Was soll ich denn dich Trottel anschauen«, wütete Edmund, »ich kenn dich eh ganz genau!«

»Nichts kennst du – aber schon gar nichts! Kurz und gut, ich bin nämlich nicht mehr der Karl, sondern der Sándor Fenivesi! Verstanden?«

Jetzt ist der Bub hundertprozentig übergeschnappt, reif für Steinhof, dachte Edmund. »Was heißt denn Fenivesi, wieso denn Sándor? Bist du denn ...«

»Gelt«, sagte Karl selbstgefällig, »da kommen dir aber jetzt die Augen raus! Ich werde nämlich in den nächsten Tagen meinen Vertrag unterschreiben und Freistilringer werden! Beim Weltmeisterschaftsturnier bin ich schon dabei, dass die Funken fliegen! Und nachher geht die Geschichte gleich weiter. Ich fahr nach Paris und nach London, vielleicht sogar nach Amerika! Vorbei ist’s mit dem Abrackern um ein paar dreckige Schillinge, vorbei mit der Chauffiererei für den Konsum! Ihr könnt euch auch eure Diplome und Medaillen auf den Hut stecken – auf euch steh ich nicht mehr an! Eine Kanone werd ich jetzt, ein Ringerstar – die Weiber werden sich um mich raufen.«

»Niemals wirst du eine Kanon, kein Hund wird sich um dich raufen«, entgegnete Edmund gehässig. »Glaubst du denn, dass die Ringer nur so auf dich warten?«

»Die?«, sagte Karl gönnerhaft. »Die sind doch froh, wenn sie mich kriegen können! Und als wilder Mann werde ich die Sensation auf dem Heumarkt sein – ob du’s glaubst oder nicht!« Dann begann er wieder von Ruhm und Geld zu reden. Er erklärte seinem Vater, dass von seinem Glanz auch ein Schimmer auf die ganze Sackbauer-Familie fallen würde.

Trotzdem ärgerte sich Edmund noch immer, wenn er an die verpatzte Meisterschaft dachte. »Aber eine Gemeinheit ist’s trotzdem von dir, dass du uns hängenlassen hast. Ein bissl Sportsgeist hättest doch aufbringen können – oder nicht?«

»Lass dich doch nicht auslachen«, sagte Karl gemütlich. »Einen Sportsgeist haben doch nur Hirnederln! Das ist was für kleine Kinder oder Amateure ...« Er legte seine ganze Verachtung in das Wort. »Um deinen Sportsgeist kannst du dir nicht einmal ein Seidel Bier kaufen!« Er wurde sich zu spät seiner Taktlosigkeit bewusst und legte seinem Vater tröstend die Hand auf die Schulter. »Vater, nicht, dass du glaubst ... Mit dem Hirnederl hab ich doch nicht dich gemeint! Du bist und bleibst mein Vorbild und hast mich vom Anfang an trainiert ... Ohne dein Training wäre ich nie ein Catcher geworden!«

Edmund schwieg und schaute auf den Fußboden.

»Also, wirklich – Vater! Jetzt schau mir in die Augen und mach einen kleinen Schmunzler. Du wirst doch nicht die gekränkte Leberwurst spielen wollen? Du bist der Boss ... Überhaupt werd ich dir immer die besten Freikarten besorgen, die es nur gibt – Ringsitze und alles, und wenn ich sie selber zahlen muss! Du könntest doch auch, wenn ich ein bissl berühmt bin, so etwas wie mein Manager oder Sekundant werden ...«

»Was sagst du«, explodierte Edmund, »dein Hilfsarbeiter soll ich werden? Du Hund, du dreckiger! Auf deine Ringerei pfeif ich, die hat mit ehrlichem Sport nichts zu tun ...«

Karl musste seine ganze Beredsamkeit aufbieten, sich entschuldigen und seinem Vater dies und das versprechen, ehe sich der endlich herbeiließ, ihm die Hand hinzustrecken.

»Also dann ... Von mir aus werd halt ein Ringer, wenn’s schon sein muss – aber einbilden brauchst dir nichts darauf!« Edmund musste plötzlich grinsen. »Na ja, schließlich und endlich bist du ja doch auch ein Sackbauer, ein Eiserner, darum hoff ich, dass du deine Gegner wenigstens ordentlich in die Goschen haust und aus ihnen Krenfleisch machst ... In den Verein musst aber gehen, dich bei allen entschuldigen und ihnen ein paar Liter auf den Tisch stellen lassen! Und jetzt ist wieder alles beim Alten – jetzt geh und hol deinem alten Vater einen Wein ... und der Mama auch, damit wir ein bissl feiern können.«

Als Karl das Zimmer verließ, blieb Edmund noch einige Minuten sitzen. Dann stand er schwerfällig auf und stapfte in die Küche, wo seine Frau angstvoll auf das Ende der Unterredung gewartet hatte. Er trat zu ihr, stemmte die Hände in die Hüften und sagte – nun schon mit einem Anflug von Vaterstolz: »Toni, was sagst ... Unser Karl wird Berufsringer! Hat die Welt schon so was gesehen?«

»Ja – aber wieso denn jetzt auf einmal? Kann man denn das so momentan werden?« Ihr war es im Grunde egal, denn sie sah zwischen Stemmen und Ringen keinen großen Unterschied.

»Ein Sackbauer kann überhaupt alles momentan werden«, grinste Edmund. »Warum denn nicht?« Dann zögerte er eine Weile. »Also ... Nachher kannst du auch die Hanni herholen, wenn der Karl mit dem Wein retour ist ... Wir feiern heute, und da will ich keine Heulerei hören, sondern lustige Gesichter um mich sehen! Schließlich lach ich ja auch schon wieder ein bissl, obwohl wir jetzt nicht mehr Meister werden. Humor muss man eben haben ...«

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