Gemischter Satz
Autor / Herausgeber: Sabina Naber
Verlag: echomedia Buchverlag
Umfang: 304 Seiten
Kurzinformation zum Buch
Wer Begriffe wie Gemischter Satz, Weißer Burgunder, Staubiger, Blauer Portugieser oder Traminer bisher nur mit exquisiten Weinsorten assoziiert hat, wird spätestens nach der Lektüre dieses Buches auch Spannung und Gänsehaut damit verbinden.
Zehn Wiener Rebsorten und acht Weinbegriffe inspirierten Raoul Biltgen, Christian Klinger, Edith Kneifl, Beatrix Kramlovsky, Lisa Lercher, Beate Maxian, Ilona Mayer-Zach, Sabina Naber, Andreas Pittler, Claudia Rossbacher, Eva Rossmann, Ivo Schneider, Susanne Schubarsky, Stefan Slupetzky, Amaryllis Sommerer, Thomas Askan Vierich, Christoph Wagner und Manfred Wieninger zu bitterbösen, aber auch lukullischen Geschichten, die tief in die Wiener Seele blicken lassen.
Leseprobe aus »Gemischter Satz«
"Die Chance" von Sabina Naber
(FLUCHTACHTERL)
Xandl lugte über das Achtelglas hinweg in ihre Augen, in diese kobaltblauen Almseen, gerahmt von schwarzen langen Wimpern. Sie schaute zurück. Die gut vier Meter zwischen ihnen schrumpften auf eine Nasenlänge, die drei Heurigentische samt Gästen verwandelten sich in Miniaturen. Sein Herz klopfte gegen die Ohren.
Sie schaute zurück.
Das Leben hatte einen eigenartigen Humor. Da saß sie, seine Traumfrau. Seine Helena, die hoffentlich seine Baucis wurde und niemals seine Eurydike. Nachdem er schon jede Hoffnung aufgegeben hatte, jemals sein Pendant zu finden. Nachdem ihm alles egal geworden war. Da saß sie, seine Chance. Einfach so. Aus heiterem Himmel. Und sie bemerkte ihn. Verwandelte ihn in null Komma nichts von Xandl, dem Nihilisten, zurück in Alexander, den Idealisten. Ausgerechnet heute Abend.
Der Mann mit den kurz geschorenen, schwarzen Kraushaaren betrachtet die Uhr am Turm der Stiftskirche, deren goldene Zeiger im Vormittagslicht glitzern, jene vom Juwelier darunter, schließlich auch noch die an seinem Handgelenk. Alle drei Zifferblätter zeigen zehn vor zehn an. „Wo bleibt der Sack?"
Der Mann neben ihm blickt weiterhin ruhig die Mariahilfer Straße hinunter, wickelt seinen weißen, ausgedünnten Pferdeschwanz um den Zeigefinger. „Der hat a Bim versäumt."
Der Gekrauste zieht Schleim auf, spuckt ihn aus. „Der is hängnbliebn. Hat si versoffen."
Der Pferdeschwanz dreht sich langsam zu ihm, schaut dann wieder die Einkaufsstraße hinunter. „Hat er net. Sonst bring i eahm um."
„Des nutzt dann a nix mehr. Die Tschanz is vorbei."
Der Pferdeschwanz steckt nun seine Hände in die Jeanstaschen. „Der kann si gar net versoffen haben. Der Charlie sperrt um elfe."
Der Gekrauste schaut den anderen nur an, worauf der sich umdreht. „Na, na, der is net weiterzogn. So deppert is net amal er, der Herr Professor."
Er musste die zwei Trotteln loswerden. Er musste aufstehen, zu ihr gehen, sich bis dahin den genialsten Spruch, den je ein Mann zu einer Frau gesagt hatte, überlegen, er musste sie in ein Gespräch verwickeln, ihr klarmachen, dass er im Grunde nicht so abgehalftert war, wie er jetzt - mit seiner abgetragenen Leinenhose und den fettigen Haaren - sicherlich auf sie wirkte, er musste sie zum Lachen bringen, ihr vermitteln, dass sie die Eine war und sonst keine, ihr gestehen, dass sie seine Lebensretterin, seine Geliebte, seine Frau, seine Freundin und die Mutter seiner Kinder war. ...
"Ins Gras gebissen" von Eva Rossmann
(SAUVIGNON BLANC)
Ich strahle und schwinge drei Pfannen abwechselnd, Woks wären geeigneter, aber der Veranstalter wollte es wienerisch. Also gibt's Tafelspitz modern und Wiener Würstchen trifft das Meer und Schweinsbratl hot. Es ist wie bei jedem Buffet: Je gestopfter, desto hungriger sind sie. Ich teile aus, fülle nach, Anglerfilets zum Würstel und Gurkenwürfel und Meersalz und ... Ja, bitte? Nein, das sind keine Putenwürstchen. Lächeln. Wozu bin ich Schauspielerin? Und weil fixe Engagements nicht massig zu bekommen sind, koche ich. Macht mehr Spaß, als in einem Werbespot den tanzenden Lampenschirm zu geben - ich weiß es, ich hab es getan.
Peter klopft mir auf den Rücken. „Kurze Pause, Lila. Außerdem kann keiner das verdammte rote Beerengelee finden." Peter ist der Boss von Plus-Catering und ganz in Ordnung. Aber ein Chaot. „Irgendwie total dein Abend, Rot steht dir, Kaiserin Sisi."
Ich schlage mit dem Geschirrtuch nach ihm. Meine Eltern heißen Kaiser und haben mich Elisabeth getauft. Ich nenne mich Lila. Punkt.
Wiener Blut heißt die Festivität, auf der wir heute unser Geld verdienen. Wiener Winzer stellen ihre Rotweine internationalen Weinkennern und Weinhändlern und natürlich Journalisten vor. Die PR-Tante wollte Tradition mit Schrägem verbinden. Also sind wir in der Hofburg, das weibliche Personal in blutroten Hosenanzügen mit absurden Weintraubenohrclips. Wir wirken wie AUA-Stewardessen, die Graf Dracula in die Hände gefallen sind. Nur die Winzer sind ein wenig bieder. Okay, nicht alle. Der Moderator strahlt Jasmin Hohenau an, als Weinqueen hat er sie vorgestellt. Dass Männer besser schauen als denken können ... Knallenges weinrotes Kleid, tiefer Ausschnitt, hohe Schuhe, als ob sie nicht groß genug wäre. Die langen blonden Haare zu neckischen Zöpfen geflochten, aber sonst ... Ich hab ihre Weine probiert, sind eher mittelprächtig. Und haben fast alle diesen kleinen Zuckerrest, den ich nicht mag. Trotzdem ist sie in letzter Zeit ununterbrochen in den Medien. „Naturnah zu produzieren, ist mir besonders wichtig", flötet sie ins Mikrofon. „Ich liebe meinen Wiener Boden, ich gehe zärtlich mit den Trauben um, aber bestimmt. Sie entscheiden, wie der Wein schmeckt." Im Hintergrund läuft ein Video. Weingarten. Jasmin in sehr knappen Shorts, die Weinblätter zupft. Ich stapfe an ihr und einem Rudel Verehrer vorbei. Der Winzer am Nachbarstand scheint allerdings kein Fan von ihr zu sein, wütender Blick in ihre Richtung. Zellerndorfer ... ein alteingesessenes Weingut, glaube ich. In welche Kühlbox haben wir das rote Beerengelee getan?
Hinter dem Festsaal das übliche Chaos. Kartons und Kühlboxen und Weinkisten und Werbematerial. Ich seufze und sehe mich um. Hinter diesem Raum sind noch zwei Räume. In dem einen haben sich die meisten von uns umgezogen. Wer will schon in einem knallroten Hosenanzug in der U-Bahn stehen? Ich öffne die Tür zum anderen, sehe tatsächlich zwei Kühlboxen von Plus-Catering und fast gleichzeitig etwas, das ich zuerst für eine Inszenierung der PR-Tante halte: Wiener Blut. Oder besser: Wiener im eigenen Saft. Ich tappe zwei Schritte nach vorn. Da liegt einer und rund um ihn eine ganze Menge Rot. ...
"Requiem in neuer Eiche" von Christoph Wagner
(BARRIQUE)
Die Windschneise, dachte Andreas Dattelböck, während er sich den Kragen seines grauen Staubmantels zuknöpfte, funktionierte immer noch. Sie pustete mit stetiger Beharrlichkeit aus den letzten Alpenausläufern frische Luftmassen ins Pannonische Becken nach Osten, von dem andererseits jene Erdwärme aufstieg, die die Weine in diesem kurzen Flussabschnitt so unverwechselbar machte.
Andreas Dattelböck wusste um diese mikroklimatischen Besonderheiten entlang der Wiener Pforte zwischen Wienerwald und Weinviertel genau Bescheid. Schließlich hatte er sich mit Fragen von Klima und Terroir über zwei Jahrzehnte lang beschäftigt und sein nicht allzu großzügiges Salär als Weinjournalist bei einer deutschen Fachzeitschrift immer wieder damit aufgebessert, dass er zwischen Klosterneuburg und Gelsenheim gelegentlich Seminare zu diesem Thema hielt.
Jetzt blickte Andreas Dattelböck über das silbergrau schimmernde Band der leider nur im Walzer blauen Donau hinüber auf den rebenbestockten Nussberg, und wie einem überdimensionalen Schattenriss folgte sein Blick der Silhouette des gegenüberliegenden Leopoldsbergs, aus dessen dunkel schraffierten Mischwäldern die beiden schmalen Türme eines Barockkirchleins emporragten.
Seit Dattelböck vor nun wohl schon einem Vierteljahrhundert mit seiner Magda hier seine regelmäßigen samstäglichen Weingartenwanderungen absolviert hatte, hatte sich an der lebenden Ansichtskarte vor seinen Augen kaum etwas verändert. Im Gegensatz zur Bisambergseite, auf der ihn das Taxi gerade oberhalb der Kellergasse entlassen hatte, bevor es kehrtmachte und zurück in die Stadt fuhr.
Ja, auf der Bisambergseite, da fehlte nunmehr sogar etwas wirklich Entscheidendes: Der Fernsehturm, das unübersehbare Wahrzeichen des Weinlands jenseits der Donau, war nicht mehr da. Deleatur. Einfach aus der Landschaft und damit auch von der Landkarte gelöscht. Erstaunlich, dachte Dattelböck, dass Barockkirchen ein zäheres Leben als Fernsehtürmen beschieden war.
Dafür hatte es die Villa, vor deren eindrucksvoller Auffahrt er nun stand, mit Sicherheit noch nicht hier gegeben, als er mit Magda die Weinberge der damals in önologischer Hinsicht noch nicht besonders gut beleumundeten anderen Seite des Wiener Weinbaus durchstreift hatte. Die blau-gelbe Fassade schien zwar beim ersten Hinsehen auf Jugendstil gequält, entpuppte sich jedoch auf den zweiten Blick als postmoderner Palazzo Prozzo, dessen Architekt oder Bauherr sich für keine klare Linie hatte entscheiden können. Der Bau wirkte neureich, und er hätte wohl eher nach Napa Valley als auf den Bisamberg gepasst.
Bartholomew P. Schatzberger Winery stand in goldenen Lettern auf dem rechten der beiden Obelisken, die das chromblitzende Eingangstor säumten, das den Blick auf eine großzügige, von bunten Blumenrabatten üppig gesäumte Treppe freigab. Dattelböck drückte das Goldglöckchen unter dem Schild. Die Gegensprechanlage blieb stumm, doch das Chromgatter öffnete sich langsam und gemächlich, wie von Zauberhand geführt. ...