Tacheles
Autor: Anderas Pittler
Verlag: echomedia Buchverlag
Umfang: 304 Seiten
Kurzinformation zum Buch
Wien, Sommer 1934. Am Judenplatz wird ein Fabrikant bestialisch ermordet. Polizeioberst Bronstein - wie das Opfer jüdischer Abkunft - soll Licht in die Angelegenheit bringen. Zu einer Zeit, da in Deutschland schon die Nazis herrschen, drängt sich auch in diesem Fall der Verdacht auf, die braunen Horden hätten den Mann auf dem Gewissen, und nur allzu schnell muss Bronstein merken, dass ihn seine Polizeimarke nicht länger schützt. Der Jäger sieht sich plötzlich in der Rolle des Gejagten, ein Wettlauf mit der Zeit beginnt. Und vor dem Hintergrund der polizeilichen Ermittlungen steuert Österreich auf einen Naziputsch zu.
Leseprobe aus »Tacheles«
... „Wer hat die Tat gemeldet?"
„Das, bitte schön, war ich."
Ein glatzköpfiger Mann um die fünfzig, der bislang unbeteiligt daneben gestanden war, trat wie aufs Stichwort vor. Bronstein musterte ihn und bedeutete dem Mann sodann mit einer leichten Bewegung seiner rechten Hand, er möge fortsetzen.
„Höller mein Name, Josef Höller. Ich bin hier der Hausmeister. Ich hab ihn gefunden, den Herrn Kommerzialrat. Gleich heut in der Früh, als ich meine übliche Runde drehen wollt. Und da is er dann g'legen, der Herr Kommerzialrat. Ich hab natürlich sofort g'wusst, da geht nix mehr, der is hin, ich mein', der ist tot. Das sieht ma ja, net wahr. Und da bin ich dann zum Wirten ums Eck, weil der a Telefon hat, und von dort hab ich dann das Kommissariat verständigt."
Bronstein wartete einen Augenblick, ehe er auf Höllers Aussagen reagierte. Die Frage, die er nun gleich stellen würde, kam ihm banal vor, und doch schien sie ihm unvermeidlich: „Ist Ihnen, Herr Höller, etwas Besonderes aufgefallen?"
„Naa - ich meine nein. Alles war wie immer. Bis auf die Leich halt. Es ist auch keine hausfremde Person da gewesen oder so."
„Waren Sie die ganze Nacht über zu Hause?"
Höller wurde verlegen und druckste herum. Einer der Uniformierten fühlte sich bemüßigt, die Frage des Obersts zu wiederholen: „Ob du da warst, will der Herr Oberst wissen."
„Sehen S', des is net so leicht zum Beantworten", meinte Höller schließlich, „irgendwie ja und nein."
„Na was jetzt?"
„Um ehrlich zu sein, Herr Inspektor, ich war beim Wirten. Die ganze Nacht. Wir haben Karten g'spielt und auch a bissel was trunken. Und auf einmal war's fünfe in der Früh. Wissen S', die Leute da im Haus, die wissen des, dass i oft amal beim Wirten bin, und wenn wirklich wer den Hausmeister braucht, dann klopft er afoch an die Fensterscheiben vom Wirtshaus, und i komm dann auße. Wegen dem Aufsperren, wissen S' eh. Aber das kommt nie vor, eigentlich. Und der Herr Kommerzialrat hat eh seine eigenen Schlüsseln g'habt, weil des war ja der Hausherr, gell."
„Das heißt", schloss Bronstein, „Sie waren, als der Mord hier geschah, nebenan in der Gaststätte."
„Ja, so könnt' ma sagen."
Bronstein verdrehte die Augen und wandte sich ab. Cerny übernahm die Initiative: „Herr Höller, im Augenblick brauchen wir Sie nicht mehr. Aber halten Sie sich bitte zu unserer Verfügung. Wir werden sicher noch einige Fragen an Sie haben."
Höller nickte und schickte sich an, in seine Wohnung zu gehen, als Bronstein sich nochmals vernehmen ließ.
„Herr Höller, wie viele Parteien wohnen eigentlich in dem Haus?"
„Das ist schnell g'sagt. Da im Erdgeschoß nur ich mit meiner Frau. Kinder haben wir ja leider keine. Oder Gott sei Dank, je nachdem, wie man's sieht. Im ersten Stock lebt die alte Hawranek, eine echte Kanaille, kann ich Ihnen sagen. Die Witwe vom seligen Fleischhacker in der Teinfaltstraßn. Na, und ihr gegenüber ist die Wohnung vom Herrn Kommerzialrat, die was er bewohnt ... hat ... mit seiner Gattin, bildhübsche Person, aber sehr launisch, wenn S' mich fragen. Im zweiten Stock dann der Beranek, a pensionierter Beamter und Privatgelehrter, Witwer. Die Hawranek hat si eh immer nach ihm umdraht, wenn sie sich im Stiegenhaus begegnet sind, aber für einen Hofrat oder was der Beranek is, is die Hawranek natürlich keine Partie. Die zweite Wohnung steht leer. Da hat ein Börsianer oder so was g'wohnt, aber der is im Neunundzwanzigerjahr abbrennt und hat sich dann was Billigeres suchen müssen. Im dritten Stock wohnt auf 7 ein Künstler, was ma halt so nennt, net wahr. In meine Augen is der ein Saubartel, weil bei dem die Huren aus und ein gehen. Modelle, sagt er, san des, aber des glaubt eam ka Mensch. Mit dem Zins is er dauernd im Rückstand, und der Herr Kommerzialrat hat eam, glaub i, unlängst kündigt. Aber wohnen tut er immer noch da. Na, und auf 8 lebt jetzt die ehemalige Gnädige, die g'schiedene Frau Kommerzialrat. Eh schon seit zwei Jahren, seit der Herr Kommerzialrat die Orchidee g'heirat' hat. Im vierten Stock schließlich, auf 9 und 10, leben die zwei Söhne vom Herrn Kommerzialrat, mit ihre Familien. Sie seh'n also, viele Parteien hab'n ma net da. Des woa freili net imma so, früher hat der Herr Kommerzialrat nur auf Nummer 4 g'wohnt, und alle anderen Wohnungen haben echte Parteien g'habt. Aber in die letzten Jahre hat si des grundlegend g'ändert, und i glaub, der Herr Kommerzialrat wollt des Haus überhaupt für sich allein. Unlängst hat er noch g'meint, er macht aus die Wohnungen Büros, für sei Firma oder so. Aber des wird er jetzt wahrscheinlich nimmer machen."
Bronstein hatte Höllers Vortrag aufmerksam gelauscht. Instinktiv schied er die Witwe und den Witwer aus dem Kreis der Verdächtigen von vornherein aus. Die Familienverhältnisse des Opfers aber waren ebenso eine nähere Betrachtung wert wie der verkrachte Künstler. Und den Hausmeister würde man sich wahrscheinlich auch noch ansehen müssen.
„Danke, Herr Höller, das ist jetzt vorläufig wirklich alles. Wir melden uns, wenn wir noch etwas brauchen. Einen schönen Tag noch." Höller schien nun seinerseits noch etwas fragen zu wollen, doch schließlich schluckte er nur und verschwand in seiner Wohnung.
Mittlerweile war der Polizeiarzt eingetroffen, der sich sogleich über die Leiche beugte, um wenig später zu erklären: „Der Mann ist erschlagen worden."
„Sagen Sie uns etwas, das wir noch nicht wissen", entgegnete Cerny knapp.
„Na, mehr kann ich Ihnen erst sagen, wenn ich ihn auf der Pathologie genau untersucht habe. Aber so wie das da ausschaut, wurde keine Tatwaffe verwendet. Da waren nur Hände und Füße am Werk, würde ich sagen."
„Brauchen wir ihn noch?", fragte Bronstein in die Runde, „Beweisaufnahme abgeschlossen? Gut, dann in die Gerichtsmedizin mit ihm, Sie können ihn gleich mitnehmen." ...