Fehlende Finger

Autor: Ernst Hinterberger
Verlag: echomedia Buchverlag
Umfang: 208 Seiten

Kurzinformation zum Buch

Ein Fall für Trautmann 

Trautmann erhält die Meldung, in einem Prater-Kirchlein sei ein Toter gefunden worden. Dieser war von Beruf Kunsthistoriker, und ihm wurde der Zeigefinger der rechten Hand abgetrennt. Später gibt es eine zweite Leiche - auch diesem Toten, Grafiker von Beruf, fehlt der gleiche Finger. Monate später ein drittes Mordopfer, das Kopien von Meisterwerken herstellte. Spielt die Wiener Kunstszene verrückt?

Trotz emsiger Ermittlungen hat Trautmann nichts in der Hand. Bei seinen Zen-Meditationen gerät er in die Nähe der Lösung des Falls. Die Beweise liefert aber Kommissar Zufall, der als Göttin Nemesis Gewalt gegen Frauen streng bestraft.

Leseprobe aus »Fehlende Finger«

Als Trautmann in der Kirche Maria Grün eintraf, erwarteten ihn der wieder einmal undeutlich sprechende, alkoholisierte Polizeiarzt Dr. Kammerer und die zwei uniformierten Streifenbeamten von der Polizeiinspektion Ausstellungsstraße sowie der sichtlich aufgeregte Pater Felix von den Trinitariern. Die Leute von der Rettung waren bereits weggefahren. Der Tote lag jetzt zwischen den Bankreihen, war aber von Kammerer noch nicht untersucht worden. 
Trautmann ging, um den fahrigen und nervösen Arzt nicht zu irritieren, aus dem Kirchlein, rollte sich eine Zigarette, und dann zum Drüberstreuen noch eine, paffte mit Genuss und ging dann, weil der Doktor nichts von sich hören ließ, wieder zurück.
Kammerer hatte eben seine Untersuchung beendet. Er streifte sich die Latexhandschuhe ab und sagte zu Trautmann: „Also … Wie es für mich vorläufig aussieht, ist der Mann an einer Ruptur der Vertebrae cervicales, sprich, an einem Genickbruch, verstorben. Meiner Meinung nach ist diese Verletzung aber nicht durch einen Gegenstand herbeigeführt worden. Und auch nicht durch einen Sturz gegen etwas Hartes oder Kantiges, sondern möglicherweise durch einen mit der Handkante geführten, zielbewussten Schlag, wie er von Karate- und Kung-Fu-Leuten praktiziert wird. Außerdem fehlt dem Mann der Zeigefinger der rechten Hand, der ihm, wie es ausschaut, weder abgerissen noch abgeschnitten, sondern wahrscheinlich abgehackt worden ist. Die Abtrennung des Fingers ist, wie ich vermute, post mortem, also nach dem Tod des Mannes, herbeigeführt worden, weil es so gut wie keinen Blutaustritt gegeben hat. Näheres wird die Obduktion ergeben, aber das Wesentliche meiner Diagnose wird sich dadurch kaum verändern. Der Eintritt des Todes liegt, auf oder ab, zwischen sechs und acht Stunden. Darauf lassen auch sein Rigor mortis und die Relation zwischen der Raum- und seiner Anustemperatur schließen.“
„Scheiße“, sagte Trautmann, und, während er sich Latexhandschuhe überstreifte: „Er ist also gemacht worden. Na, dann schauen wir uns den Haberer halt einmal an.“
Trautmann stellte fest, dass der Tote am Ringfinger der linken Hand einen nicht gerade kleinen Brillantring, am linken Handgelenk eine sehr teure, beinahe oblatenflache goldene Armbanduhr und um den Hals eine dicke Goldkette mit einem Medaillon trug, welches die Gottesmutter zeigte. 
In seinem Sakko hatte er eine dicke Brieftasche mit Führer- und Zulassungsschein sowie mehrere Banc Cards, aus denen hervorging, dass es sich bei dem Toten um einen Dr. Hans Schauhuber handelte; es gab außerdem die Karte eines Notars aus Döbling, aus der ersichtlich war, dass dieser das Testament des Dr. Schauhuber in Verwahrung hatte. In der Brieftasche befanden sich auch Geldscheine im Wert von eintausendachthundert Euro und in einer Tasche des Sakkos Münzen im Wert von vierzehn Euro. In der anderen Sakkotasche gab es eine ziemlich starke Lesebrille in einem Lederfutteral, einen Taschenkalender und eine Montblanc-Goldfüllfeder. In einer Manteltasche des Toten fand sich ein Schlüsselbund mit drei Schlüsseln. 
Es handelte sich in diesem Fall also offensichtlich um keinen Raubmord, weil ja der Täter seinem Opfer alle Wertgegenstände und das Geld gelassen hatte, obgleich er sicher genug Zeit gehabt hätte, diese Dinge an sich zu nehmen. 
Trautmann versorgte die dem Toten abgenommenen Gegenstände in mehreren Plastiksäckchen und steckte sie ein. Er streifte die Handschuhe ab und fragte Kammerer: „Was glaubst du, Doktor: Ist der Mann da herinnen oder irgendwo draußen gemacht worden?“
„Das lässt sich schwer sagen. Es kann so oder so gewesen sein. Gefühlsmäßig tät ich glauben, er ist vom Täter hereingebracht und hingesetzt worden, als er schon tot war. Der Pfaffe hat ihn jedenfalls sitzend aufgefunden. Und deine Streifenleute haben ihn sitzen gelassen. Auf den Boden gelegt haben ihn erst die Kollegen von der Rettung.“
Trautmann nickte. „Na gut. Okay. Es kann so oder so gewesen sein.“ 
Und trocken: „Tot ist er ja auf jeden Fall. Ich werd also jetzt das Koat anrufen. Es muss die Tatortgruppe her und sich umschauen, obwohl herinnen wahrscheinlich eh schon alle Spuren zertrampelt worden sind. Und wenn es draußen welche gegeben hätt, sind s’ vom Regen weggewaschen worden. Was da runterkommt, ist ja die reinste Sintflut. Außerdem muss unser Oberst auch her. Der kriegt sonst eh durch das Sitzen im Koat Hämorrhoiden.“
Und nachdenklich: „Schauhuber … Hm … Ich bin mir nicht sicher, aber mir kommt vor, dass ich dem seinen Namen schon irgendwann gehört oder gelesen habe. Oder sein Gesicht im Fernsehen gesehen … – in irgendeiner Sendung mit Kunst oder so was. Jedenfalls ist er mit seinem Schmuck und dem Geld keine Nullnummer. Also muss der Chef her. Schließlich kriegt er dafür ja einen Haufen gezahlt. Vielleicht brauchen wir auch Leute aus der Direktion. Aber das hat noch Zeit.“
Trautmann fischte sein Handy heraus, rief das Kommissariat und danach, wegen der Abholung der Leiche, die Gerichtsmedizin an. Ging mit dem Doktor aus dem Kirchlein, rollte sich eine seiner unvermeidlichen Zigaretten und schickte dann sowohl Kammerer als auch einen der Streifenbeamten weg. Der andere musste ja so lange dableiben, bis die Leichenfladerer von der Gerichtsmedizin daherkamen, um diesen Toten noch in die Sensengasse zu überführen. 
Noch deshalb, weil in Wien, einer sogenannten Weltstadt, deren Forensik einmal weltberühmt gewesen war, das Gerichtsmedizinische Institut in der Sensengasse ab Jänner geschlossen sein würde – weil man das dafür notwendige Geld lieber mit vollen Händen für allen möglichen Scheiß zum Fenster hinauswarf, wie Trautmann meinte. Für die Gerichtsmediziner bestimmte Leichen würden dann kreuz und quer durch Wien gefahren werden, bis sie gnädigerweise eine Spitalspathologie aufnahm. Die für diese Misere Verantwortlichen würden dann behaupten, sich um eine Lösung des Problems zu bemühen, aber keine finden.
Es regnete jetzt noch stärker. Deshalb stellte sich Trautmann unter das kurze Vordach des Kirchleins. Dann erinnerte er sich, dass er ja noch eine Leberkässemmel eingesteckt hatte, warf die nass gewordene Zigarette weg, fischte die Semmel aus der Tasche und begann sie zu essen. Es lag zwar keine zehn Meter entfernt ein Ermordeter, aber er, Trautmann, lebte, und es hieß in Wien ja: „Ein leerer Sack steht nicht.“ Tote hatten keinen besonderen Appetit mehr, Lebende aber schon. So schaute es aus und da fuhr die Eisenbahn drüber.
Langsam begann Trautmann zu frösteln. Es schien ja ewig zu dauern, bis sich der Oberst und die Kollegen von der Tatortgruppe herbeiließen, zu erscheinen. Die dachten sich wahrscheinlich, dass ihnen der Tote ja eh nicht davonlaufen konnte. Und wahrscheinlich kamen sie auch wegen des stärker gewordenen Verkehrs nicht richtig weiter. Besonders bei starkem Regen fuhren ja die meisten wie die ersten Menschen oder wie solche, die ihren Führerschein in der Lotterie gewonnen hatten.
Trautmanns Kollegen trafen nach einer guten halben Stunde ein und die Tatortleute machten sich an die Arbeit. 
Der Tote und der Innenraum des Kirchleins wurden mehrmals fotografiert und Täfelchen wurden gesetzt. Die Tatortleute stellten fest, dass es auf dem Boden zwar genug Spuren von allen möglichen Schuhen gab, diese aber so verwischt waren, dass sie unbrauchbar waren. Sie wurden trotzdem fotografiert, was zwar sinnlos, aber vorgeschrieben war.

Als Trautmann, sein Oberst und die Tatortleute bereits weg waren, traf der Leichentransportwagen ein und der Tote wurde verladen. Der bis jetzt anwesende Streifenbeamte wurde von Kollegen abgeholt. Im Kirchlein blieb nur der Pater Felix zurück, der sich während der Anwesenheit der Polizisten in der kleinen Sakristei aufgehalten hatte. Er setzte sich in die vorderste Bankreihe, schaute auf den hinter dem Altar hängenden Gekreuzigten und betete still vor sich hin. Er musste ja warten, bis ein Verantwortlicher seines Ordens kam und sich an Ort und Stelle berichten ließ.
Während des gewohnheitsmäßigen Betens dachte der Pater daran, dass Jesus gesagt hatte, dass jeder, der an ihn glaubte, auferstehen und leben würde, auch wenn er gestorben war. Das galt auch für Sünder, wenn sie ihre Sünden aufrichtig bereuten und von einem Priester – der ja befugt war, im Namen Gottes für alle Ewigkeit zu binden und zu lösen – absolutiert worden waren. Und er hoffte, dass der liebe Gott sich nicht daran stoßen würde, dass dieser Mann namens Schauhuber erst nach seinem Tod durch ihn, den kleinen Pater Felix, losgesprochen worden war.

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