Engel weinen höchstens heimlich

Autor: Thomas C. Brezina
Verlag: Schneiderbuch / Egmont
Umfang: 208 Seiten

Kurzinformation zum Buch

Schneiderbuch verlegt durch Egmont Verlagsgesellschaften mbH.

Thomas C. Brezinas romantische Kurzreihe lässt Leserinnenherzen höher schlagen. Im vierten Band muss sich Vicky, Halbengel wider Willen, entscheiden. Wird sie ihrem Freund Azrael helfen, indem sie seine Statue wieder zusammensetzt, und so ihre große Liebe White vielleicht nie wieder sehen? Doch auch die Arbeit für ihre Liebesagentur Wilde Wahnsinnsengel und ihre chaotische Familie halten Vicky auf Trab. Denn zu Hause stehen die Zeichen wieder mal auf Sturm...

Leseprobe aus »Engel weinen höchstens heimlich - Wilde Wahnsinnsengel (Bd. 4)«

Vorahnungen

„Es muss bald sein. Sehr bald, hörst du?“ Azraels Stimme hatte den samtenen, weichen Klang verloren. Er sprach eindringlich, fast streng.
Vicky fühlte ein Jucken auf dem Kopf. Das verhieß nichts Gutes. Es machte sie ganz unruhig.
„Wieso hast du es plötzlich so eilig?“, wollte sie wissen.
Azrael antwortete nicht sofort. Die Pause ließ Vickys Jucken noch stärker werden. Nervös kratzte sie sich zwischen den wilden kurzen Strähnen, die von keiner Haarbürste der Welt gebändigt werden konnten.

„Du hast es mir versprochen!“, erinnerte Azrael.
Das stimmte irgendwie. Vicky hatte ihm angeboten, dafür zu sorgen, dass er wieder zusammengesetzt wurde.

Mit einem tiefen Seufzer ließ sie ihren Blick über die dunklen Steintrümmer streifen, die auf dem Boden verstreut lagen. Nach dem letzten Regen war das Gras so stark gewachsen, dass es einige Körperteile der zerbrochenen Statue fast völlig verdreckte.
Seit sie ein kleines Mädchen war, hatte sie für Azrael geschwärmt. Azrael, die Engelsstatue in dem kleinen Park zwischen den hohen Häuserblöcken. Früher war hier ein Friedhof gewesen, an den heute noch einige Grabsteine erinnerten, die schief aus der Erde ragten. Kaum jemand kam hierher, um sich in den Schatten der Bäume zu setzen oder einem Konzert der Vögel zu lauschen.
Kaum jemand außer Vicky.

Sie hatte diesen Ort von jeher gemocht. Früher hatte Azraels dunkle Steingestalt Vicky geradezu magnetisch angezogen. Alles an ihm war für sie sexy. Der nackte Körper, der nur um die Mitte von einem losen Tuch verhüllt war, seine Haltung, die an einen Balletttänzer erinnerte, und die kräftigen Schwingen, die aus seinen Schulterblättern wuchsen. Die Flügel waren leicht gespreizt wie zum Abflug. Vicky musste immer grinsen, weil sie das knackige Hinterteil frei ließen.
„Dieser Po macht froh“, hatte Nessa einmal gereimt.
Nessa war eine der beiden besten Freundinnen von Vicky und Mitbegründerin der Liebesdetektei die Wilden Wahnsinnsengel.

„Ich möchte spätestens in drei Wochen wieder auf dem Sockel stehen“, erklärte Azrael.
Sein Kopf lag seitlich auf dem Moos wie auf einem Kissen. Obwohl aus Marmor, hatte er die Augen geöffnet, die blau und lebendig strahlten. Seine Lippen bewegten sich, als wären sie aus Fleisch und Blut.

„Einfach nur so?“, forschte Vicky erneut nach. Wieder eine Pause. Dann: „Nein, nicht einfach nur so.“ „Sondern?“ In diesem Moment hätte Azrael, wäre er ein Mensch, wahrscheinlich geseufzt. Aber er war ein steinerner Engel, den Vicky ungewollt vom Sockel gestoßen hatte.
„Was wird mit meinen Engelskräften, wenn ...“, begann sie. Sie schaffte es nicht weiterzusprechen. Aus Angst, Azrael könnte ihr die unglaublichen Kräfte wieder nehmen, die sie durch ihn bekommen hatte.

„Weil ich dich geküsst habe, als wir umgestürzt sind, bin ich zum Halbengel geworden. Ich ... ich habe doch immer alles getan, was meine Aufgabe war. Ich kann das auch weiter machen.“
Oh nein ... Vickys schlimmste Befürchtungen schienen einzutreten, auch wenn sie noch nicht ausgesprochen waren. Azraels Zögern war eine klare Bestätigung.
„Du hast es versprochen“, wiederholte Azrael fast vorwurfsvoll.

Vicky, die im Schneidersitz neben seinem Kopf im Gras hockte, stand auf. Sie beugte sich über das Bein, das Azrael, als er noch stand, leicht vorgestreckt hatte wie zu einem eleganten Schritt. Mit beiden Händen griff sie danach und versuchte, es aufzuheben. Einige Zentimeter schaffte sie sogar, ließ es dann aber wieder zu Boden fallen. Es war viel zu schwer für sie allein, dabei war es noch einer der kleineren Steinbrocken.

Vicky sah zu dem leeren Sockel. „Das muss ein Profi machen“, sagte sie. „Kümmere dich bitte darum!“, verlangte Azrael. „Mache ich“, versprach Vicky und meinte es ernst. So schwer es ihr auch fiel. „Gut.“ Ihr ungewöhnlicher Freund war zufrieden. Die rechte Hand, die abgetrennt vom Arm zwischen Gänseblümchen lag, bewegte sich. Die Finger winkten Vicky näher zu kommen. Sie ging daneben in die Hocke und griff nach Azraels kühler Hand, die ihre sofort sanft drückte.
„Alles im Leben hat seine Zeit, Vicky.“
Schlimmer hätte Azrael die ganze Sache nicht ausdrücken können. Was er sagte, konnte nur eines bedeuten.
Vickys Zeit als Halbengel war bald vorbei. Azrael würde, sobald er wieder als ganze Statue stand, seine Kräfte von ihr zurückholen.

Danach würde sie, genau wie vorher, nur noch ein stinknormales Mädchen sein, mit zu wenig Busen, Haaren, die machten, was sie wollten, zu dünnen Beinen und einem Pickel, der da und dort in ihrem Gesicht auftauchte.

Das war aber nicht alles ... „Ich muss los!“, sagte Vicky und stand auf. „Auf bald!“ Azrael lächelte und zwinkerte ihr zu. „Ganz sicher.“ Sie winkte ihm kurz, drehte sich um und ging. In ihrer
Brust machte sich ein dunkles, schweres Gefühl breit. Sie meinte, eine schwere Last auf den Schultern zu tragen. Ihre Augenlider waren wie aus Blei. Langsam schleppte sie sich zu der halbhohen, überwucherten Mauer und kletterte darüber. Was war los mit ihr? Hatte das nur mit dem zu tun, was Azrael ihr gesagt hatte? Ihr wurde auf einmal ganz übel. Sie wankte zu der Hausmauer, die sich neben dem asphaltierten Weg erhob und stützte sich mit einer Hand ab. Ihr Brustkorb schien sich nicht weit genug auszudehnen, sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
Schweiß rann ihr über Gesicht und Rücken. Vicky spürte ihr Herz angestrengt und mit aller Kraft, aber trotzdem viel zu langsam hämmern. Es fühlte sich an, als wollte es sich gegen den Druck wehren, der auf ihr lastete.

Nach vorn gebeugt und würgend, als müsse sie sich übergeben, stolperte sie voran. Der Weg führte zwischen zwei Wohnhäusern hindurch. An dieser Stelle war er sehr schmal und schattig. Die Kühle erfrischte Vicky ein wenig. Vor ihr, am Ende des Durchgangs, fuhren Autos auf der Hauptstraße hin und her. Durch den Spalt waren sie nur als buntes Muster zu sehen. Vickys Ziel war die Straße. Dort hatte sie ihr Fahrrad abgestellt. Sie meinte, ihre Beine mit den Händen vom Boden hochziehen zu müssen. Schritt für Schritt kämpfte sie sich voran.
Himmel! Was war nur los mit ihr? Sollte sie zu Azrael zurückkehren? Vielleicht hatte er eine Erklärung.

So schnell und unerwartet, wie das rätselhafte Gefühl über sie gekommen war, verschwand es auch wieder. Vicky meinte zu spüren, dass es von ihr wich, als hätte jemand eine Decke weggezogen. Sie richtete sich auf und atmete mehrere Male tief durch, bevor sie weiterging. Über die Schulter warf sie einige Blicke nach hinten und auch nach oben zum Himmel.
Dort schwebte eine lang gezogene Federwolke.

Auf der Hauptstraße herrschte der übliche Spätnachmittagstrubel. Viele Leute nutzten den warmen Sommertag, um sich ein Eis, einen Kaffee oder einen Cocktail in einer der Bars zu genehmigen.
„Hi, Baby!“, hörte Vicky eine tiefe, kehlige Stimme hinter sich.

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