Ich scheiss mich an

Autor: Clemens Haipl
Verlag: echomedia Buchverlag
Umfang: 216 Seiten

Kurzinformation zum Buch

„Wunderbar unterhaltsame Texte zwischen kindischer Verspieltheit und philosophischer Weisheit. Absurde Gedankenspiele reihen sich an scharfe Abrechnungen mit Pop und Medienkultur. Ich habe über die Cartoons gestaunt und das Buch in einem durchgelesen. Oft zauberte es mir ein Lächeln ins Gesicht, manchmal blieb mir das Lachen im Halse stecken. Durch und durch lesenswert und erfrischend anders. Das Buch des Jahres." (Clemens Haipl)

Leseprobe aus »Ich scheiss mich an«

Ganz Normal

Ich habe einmal in Amerika gelebt. Das tun an sich viele Menschen, die meisten davon sind aber Amerikaner und erwähnen das deswegen nicht extra. Ich nicht, darum erwähne ich es schon. Jedenfalls war eines der ersten Gastgeschenke, die ich nach meiner Ankunft im schönen Ohio erhalten habe, ein Ansteckbutton mit der Aufschrift „Why be normal?“ Die Menschen werden schon gewusst haben, warum sie den ausgerechnet mir geschenkt haben, und ich habe ihn ein Jahr lang mit Stolz getragen. Er war bei mir, als sich an der Kreuzung ein paar Rednecks einbremsten und in meine Richtung „What’s wrong with you, faggot?“ riefen (in etwa: „Was ist los mit dir, Homosexueller?“). Sie taten das, weil ich – für amerikanische Midwest-Verhältnisse eher unüblich – schwarz gefärbte, in den Mund hängende Haare und ca. sieben, acht silberne Ohrringe trug. Und der Button war auch bei mir, als mich die Highschoolblonde entgeistert ansah, „You’re so different!“ stammelte und mir hernach ihre Zunge in den Hals steckte.

Will sagen: Normal sein hat Vorteile, nicht normal sein aber auch. Es ist letztlich auch völlig irrelevant und ich habe überhaupt keine Lust auf Diskussionen mit oder über Menschen, die von sich selber behaupten, dass sie „total verrückt“ seien oder – noch schlimmer – dass „alle ihre Freunde finden, dass sie völlig crazy seien und irgendwas mit Kabarett machen sollten“. Wenn Sie solche oder ähnliche Ansammlungen von Vokalen und Konsonanten vernehmen, greifen Sie getrost zur Flasche. Sie können jeden erdenklichen Trost gebrauchen und haben mein vollstes Verständnis.

„Ich bin echt nicht normal“, „Ihr müsstet einmal bei uns in der Firma vorbeischaun, das ist Comedy pur“, „Was soll ich machen, ich bin halt eine Lachwurze“ und Ähnliches gelten übrigens auch. Was für ein Desaster …

Im Fernsehen musste ich vor kurzem sehen, wie die Familie von Hulk Hogan mit ihren Hunden gemeinsam einen Yoga-Kurs besucht. Also nochmal, zum Mitschreiben: Hulk Hogan, Familie, Hunde, Yoga.

Habe ich vor zwei Absätzen behauptet, ich würde mich nicht damit befassen wollen, was normal ist und was nicht? Ich widerrufe. Okay, ich bin lernfähig. Mein lieber Herr, es gibt definitiv Menschen und Dinge, die man – zumindest solange man keiner treffenderen Vokabeln  habhaft werden kann – als „nicht normal“ bezeichnen kann und muss.

Ich kannte übrigens mal einen Kater, der hieß Norman Normal. Das finde ich schön. Erstens, dass Haustiere Vor- und Nachnamen haben, und außerdem, dass ein Kater Normal mit Nachnamen heißt. Das zeugt von großer Aufgeschlossenheit – umgekehrt müsste man als Mensch z. B. „Clemens Miau“ heißen, wollte man hier gleichziehen. Will ich aber nicht, und ja, ich würde mich trauen. Nein, ich will wirklich nicht, ich bin nicht feig! Danke und auf Wiederschaun.

Schwimmbad

„Jeder Mensch verliert beim Schwimmen jede Menge organischer Stoffe: eine Milliarde Keime, dazu Haare, Schweiß, Sonnenschutzmittel, Schmutzpartikel, Hautschuppen und im Schnitt 50 Milliliter Urin, so viel Flüssigkeit, wie er durchschnittlich beim Badespaß auch wieder schluckt …“

(Aus der Hygieneverordnung öffentlicher Schwimmbäder)

Jamjam. Mag irgendwer ins Schwimmbad gehen? Ich nicht. Gegraust hat mir immer schon davor, aber jetzt, wo ich es schwarz auf weiß recherchiert habe, setze ich mich lieber in meine Klomuschel und kühl mich dort ab. Da weiß ich wenigstens, von wem der Dreck kommt.

Wie kann man nur freiwillig mit hunderten Menschen in einer Brühe aus Schweiß, Urin, Schuppen etc. … plantschen und dafür auch noch Eintritt zahlen??

Das ist mir völlig schleierhaft! Gut, rein medizinisch macht das alles nichts, ist ja jede Menge Chlor drin, die das alles irgendwie neutralisiert. Aber ich lege mir ja auch keine Kakerlaken aufs Butterbrot und trinke ein Gläschen vom Abwaschwasser dazu, bloß weil es nicht zwingend krank macht.

Würde irgendjemand einen schwitzenden, fetten, ungepflegten Fremden in der U-Bahn nackt umarmen und sich 
an seiner bleichen Haut reiben? Wohl kaum. Warum hat dann 
niemand ein Problem, mit selbigem in ein hermetisch abgeschlossenes Gebinde wie ein Schwimmbecken zu steigen?

Mir kommt aber auch sehr zugute, dass ich ein gleichermaßen schlechter wie unwilliger Schwimmer bin: Ich schaffe in etwa zehn Meter freischwimmend ohne den Grund näher betrachten zu müssen und verfüge über ein hochprofessionelles Loch im Trommelfell, das bei leichtem Untertauchen spontan für unangenehmes, taubes Gefühl sorgt. Wie ich den Freischwimmerausweis bekommen habe, ist ein Mysterium.

Obendrein mag ich Sommer und Hitze sehr gerne! Warum sollte ich mich freiwillig in einem Schwimmbecken (!) 
abkühlen, nachdem ich Herbst, Winter und Frühjahr auf hohe Temperaturen gewartet habe?? Dafür gibt’s Duschen und sanfte Windbrisen!

Und dann die Mär von schönen Körpern, die man(n) angeblich so gerne im Freibad begutachtet … So ein hanebüchener Unsinn!!! Warum sollten Menschen, die schon angezogen über ein sehr mangelhaftes Äußeres verfügen, besser oder gar erotischer aussehen, wenn keine Oberkleidung die zahlreichen Problemzonen kaschiert? Kann mir das bitte jetzt auf der Stelle irgendwer plausibel erklären?

Ich sehe auch keine zwingende Notwendigkeit, meine eigene karge sterbliche Hülle öffentlich zur Schau zu stellen. Ja, meine Badehosen sind schon sehr hübsch. Gelb, orange und schwarz – dafür muss ich aber nicht selber drinstecken, und die Badehose alleine ins Schwimmbad zu legen kommt mir dann doch ein bisschen lächerlich vor.

Was ich damit sagen wollte, und falls es noch irgendwelche Zweifel gibt:

Nein, ich komme nicht mit ins Schwimmbad!

Weihnachtsmärchen

Das erste Mal, als ich Weihnachten bewusst miterlebte, war ich 15. Ich weiß, nach heutigen Standards ist das relativ alt. Heute – in einer Zeit, in der man mit 16 mit Zunge küsst, wo 14-Jährige eigene Gameboys besitzen und viele nicht einmal wissen, wie der Entdecker des Penicillins heißt.

Meine Mutter, eine fleißige, aber unterbezahlte Pornodarstellerin, hatte meinem Vater Honig ums Maul geschmiert und wochenlang urgiert, ich – sein Sohn – wäre doch alt genug, auch einmal beim „Stille Nacht“-Singen und beim Bewundern des hell beleuchteten Christbaums dabei zu sein. Mein Vater hatte sich sein völlig verschmiertes Gesicht gewaschen, meiner Mutter erklärt, dass er Honig nicht möge, und eingewilligt, unter der Bedingung, dass ich ihm meinen Ladyshave borge. Das fiel mir nicht weiter schwer – ich war zu jener Zeit ohne fixen Lebensabschnittspartner und konnte gut einige Tage mit behaarten Beinen zurechtkommen. Die meisten meiner Freunde im Boxclub hatten auch welche. Außer Thorsten. Er hatte einen völlig lächerlichen Vornamen und wurde von uns Kindern regelmäßig gefesselt, verspottet, geteert und gefedert, was einem dichten Haarwuchs am Bein nicht zuträglich war. Außerdem war er wenige Tage zuvor von einem Auto überfahren worden, fühlte sich sehr schlecht und es war mehr als ungewiss, ob er jemals wieder mit uns spielen wollen würde.

Meine Mutter hatte darauf bestanden, dass ich ein Engelskostüm aus dem Fundus des Pfarramtes trage, da sie der Meinung war, es würde mir etwas Unschuldig-Weihnachtliches verleihen. So stand ich denn nun, mit borstigen Beinen und unrasiertem Antlitz, umhüllt von einem weißen Nachtkleid mit Flügeln und Heiligenschein aus Alufolie, vor der verschlossenen Tür des elterlichen Wohnzimmers. Vater hatte sich am ganzen Körper spiegelglatt rasiert und meiner Mutter ihren Lieblingslippenstift abgebettelt. Irgendwann hatte mein Vater dann vermutlich mit der Tischglocke geläutet, ich durfte eintreten, wurde eines ein Meter hohen Fichtenbaumes mit acht Kerzen ansichtig (die auch nicht alle die gleiche Farbe hatten, wie man es von Christbaumkerzen erwartet hätte) und bekam vom Christkind einen grünlich-durchsichtigen Dosenspitzer geschenkt. Ich war zutiefst gerührt und verließ noch Jahre später kaum das Haus ohne meinen geliebten Dosenspitzer. Später habe ich ihn gegen eine Wanderplakette „Mariazell 1956“ eingetauscht, mit der ich im Großen und Ganzen eigentlich auch recht zufrieden war.

Warum ich seitdem nie wieder Weihnachten versäumt habe, kann ich jetzt auch nicht mehr genau sagen …

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