Karim El-Gawhary
Tagebuch der arabischen Revolution
Monatelang hat Karim El-Gawhary fast nonstop vom Aufstand in der arabischen Welt berichtet: in Facebook-Postings, Twitter-Tweets, in seinem Blog, in Zeitungsreportagen und natürlich im TV.
In dieser Zeit ist er zum Gesicht der arabischen Revolution im ORF geworden. Sein Buch ist ein Zeitdokument der besonderen Art, der Leser wird noch einmal hautnah auf eine Reise mitgenommen: zu den Vorboten der Revolution, dem ersten Aufflammen in Tunesien, den Tagen des Zorns auf dem Tahrir-Platz und dem Kampf der libyschen Rebellen um Freiheit und Würde. Das Buch schließt mit den Monaten nach der Revolution in Ägypten, wo sich entscheiden wird, ob der demokratische Neubeginn in der arabischen Welt Bestand haben kann.
Werbung
Leseprobe:
Willkommen im neuen Arabien
Auf dem Abdel-Moneim-Riad-Platz im
Zentrum Kairos, nicht weit vom Tahrir-Platz entfernt, schiebt sich ein Mann langsam
in seinem klapprigen, alten Rollstuhl voran. Zwischen seine Schenkel hat er
einen Topf schwarzer Farbe geklemmt. In der Hand hält er einen Pinsel. Mühsam
beugt er sich herunter, um den Bordstein anzustreichen. Er kommt nur langsam
voran. In der nächsten halben Stunde wird er gerade mal ein paar Meter
schaffen. Den Bürgersteig zu verschönern ist, einen Tag nach dem Sturz des
Pharaos Hosni Mubarak, sein persönlicher Beitrag zur ägyptischen Revolution.
Noch
vor wenigen Wochen hat er sich mit seinem Rollstuhl wahrscheinlich an einer der
Straßenkreuzungen an den Reihen der wartenden Fahrzeuge entlanggeschoben, um bei
Rot an deren Fenster zu klopfen und ein wenig Geld zu erbetteln. Doch an diesem
Tag lächelt er und antwortet auf die Frage, was er denn da mache, mit einem
kurzen: „Das ist jetzt mein Land." Dann taucht er den Pinsel wieder ein und
beugt sich in Zeitlupe wieder herunter. Gibt es ein besseres Symbol dafür, wie
nicht nur dieser Mann, sondern ein ganzes Land seine Würde wiedergefunden hat?
Die ganze Welt hielt in den ersten Wochen der Revolution Anfang des Jahres 2011
den Atem an. Durch ihre schiere Masse und ihre unglaubliche Sturheit, immer
wieder friedlich auf
die Straße zu gehen, brachten die Araber auch die repressivsten Regime ins
Wanken. Die Faszination dieser Freiheitsbewegungen entstand auch dadurch, dass
die reale Macht des Volkes auch im fernen Europa greifbar und erfahrbar wurde. Was
da geschah, mutete wie ein modernes Politmärchen an, dessen Inspirationskraft
sich kaum jemand entziehen konnte. Und es blieb nicht bei einem Land - es wurde
die Zeit der Tausendundeinen Revolution.
Es ist ein Privileg, ein wahres Geschenk des Schicksals, als Journalist und Zeitzeuge live in Tunis, Kairo und Bengasi dabeigewesen zu sein. Vor 20 Jahren habe ich während der Operation Wüstensturm von Bush Senior aus der Region zu berichten begonnen. Ich habe zwei palästinensische Intifadas begleitet, einen weiteren Krieg im Irak, diesmal mit Bush Junior, einen im Libanon, einen im Gazastreifen. Während der Präsidentschaftswahlen im Iran musste ich das Scheitern des grünen Aufstands gegen Ahmadinedschad miterleben. Es waren allesamt besondere, meist tragische Momente, aber auch verbunden mit dem Gefühl, gerade an dem Ort zu sein, an dem etwas Wichtiges geschieht, etwas, das die Welt zum Teil wochenlang in Atem hielt. Die Geschichten aus diesen Zeiten waren meist traurige Geschichten, von Menschen, die in diesen Kriegen lebten und überlebten und nicht selten starben. Viele Bekannte und sogar enge Freunde, die bei sinnlosen Anschlägen ums Leben kamen, habe ich über die Jahre verloren. All die Kriege und Attentate hatten eines gemeinsam: Sie brachten kaum Veränderungen und wenn, dann meist zum Schlechteren.
Als
ich Anfang Januar in Tunis am Flughafen an der Passkontrolle stand, bekam ich
eine Gänsehaut, nicht vor Angst, sondern vor gespannter Erwartung. Als mich der
Grenzbeamte im revolutionären Tunesien begrüsste, fragte er mich, was ich über
„ihre", die tunesische, Revolution denke. Ein arabischer Polizist sprach von „unserer
Revolution", mit mir, einem Journalisten, der ein paar Wochen zuvor für die
Einreise zur Arbeit als Reporter im Polizeistaat Tunesien kein Visum bekommen
hätte. Jetzt stempelte er die Einreiseerlaubnis beiläufig während des Gesprächs
in meinen Pass und wünschte mir einen angenehmen revolutionären Aufenthalt.
Bei der Annahme des Gepäcks drehte ich mich mehrmals ungläubig zu dem Beamten
um. „Willkommen im neuen Arabien", dachte ich mir und hatte keine Ahnung,
welcher weitere Wirbelwind meiner Region bevorstand.
Die bekam ich erst, als
die Tunesier immer wieder fragten, wann es bei uns in Ägypten losgehe. „Sobald
ich zurück zu Hause bin", witzelte ich, und hatte wieder keine Ahnung, wie
schnell dieser Scherz Wirklichkeit werden würde. Ich war gerade zurück in
Kairo, da hatten die ägyptischen Jugendlichen via Facebook für ihre eigenen
Tage des Zorns mobilisiert. Meine revolutionäre journalistische Achterbahnfahrt
wollte nicht aufhören.
Gut, dachte ich mir, wenn die Umwälzung in Ägypten klappt,
dem bevölkerungsreichsten arabischen Staat, dem Herzstück der arabischen Welt,
der Umm El-Dunia, der Mutter der Welt, wie die Ägypter ihr Land nennen, dann, da
war ich mir sicher, steht der gesamten arabischen Welt ein revolutionärer
Tsunami bevor. Dabei war ich überzeugt, dass der Wandel Länder wie Libyen
zuletzt erreichen würde. Gaddafis Reich war für mich das Bollwerk der
unterdrückerischen Regime in der Region, eine Art arabisches Nordkorea. Auch dort würde
die Geschichte nicht vorüberziehen, dachte ich mir. Aber die Revolution würde
dort zuletzt ausbrechen.
Ich hatte mich wieder getäuscht. Es dauerte nicht
lange, und ich packte in Kairo meine Koffer, um mich in die Hochburg der
libyschen Rebellen, ins befreite Bengasi, aufzumachen.
Die Revolutionen
begannen überall auf ähnliche Weise: Den Anfang machten meist Jugendliche, die
zuvor mit der alten, stets stagnierenden Politik der arabischen Welt nichts am Hut
hatten. Sie entwickelten neue Methoden, mit modernen Medientechnologien wie
Blogs, Facebook und Twitter die Regime einfach zu überrumpeln. Sie taten es
ohne jegliche charismatische Führung, als revolutionäres Kollektiv, dem kein
Sicherheitsapparat beikommen kann.
Die Revolutionen hatten ein wichtiges
gemeinsames Merkmal: Die Menschen hatten über Nacht ihre Angst verloren. So
las ich auf Twitter folgenden Eintrag: „Als wir furchtlos auf die Polizeiketten
zugestürmt sind und die Polizisten auch noch vor uns davonliefen, dachte ich
das erste Mal: Das ist eine Revolution." Erst war es eine kleine Gruppe, die
sich nicht mehr einschüchtern ließ. Dann eine große Masse, die die
Sicherheitsapparate mit einer Mischung aus Polizei, Staatssicherheit und
angeheuerten Schlägern nicht mehr kontrollieren konnten.
Aber es war mehr als
das: Menschen aus allen Gesellschaftsschichten hatten sich der Revolution
angeschlossen - Studenten, Anwälte, Ärzte, Lehrer, Bauern, Beamte, Arbeitslose,
und Beduinen, was sich in Kairo einmal in einer äußerst brenzligen Situation
als sehr hilfreich erwies: Als Mubaraks Schläger auf Kamelen und Pferden den Tahrir-Platz attackierten, rutschte
dort zunächst allen das Herz in die Hose. Doch auf dem Platz bei den Demonstranten
waren auch ein paar Beduinenjungs, die wussten, wie man ein Pferd in den
Schwitzkasten nimmt und mit einem gekonnten Seitenschwung zu Boden zwingt, und dieses
Wissen gaben sie den anderen weiter. Da nützten den Reitern auch ihre Knüppel
nichts mehr: Am Ende hatte Mubarak die ganze Gesellschaft mit ihrem geballten
Wissen gegen sich. Dagegen konnte er nichts mehr ausrichten. Drei Jahrzehnte
Willkür, Korruption und Misswirtschaft hatten einen Volksaufstand im wahren
Sinne des Wortes provoziert.
Dieser zog sich durch alle Generationen. Eine
Anwältin in Kairo erzählte mir die Geschichte ihrer 16-jährigen Tochter, die
Tag und Nacht auf dem Tahrir-Platz war. Eines Morgens erhielt die Anwältin
einen panischen Anruf einer Bekannten, die ihr erzählte, dass sie unter ihrem
Fenster gerade Karawanen mit Pferden und Kamelen sehe, auf denen mit Knüppeln
bewaffnete Reiter säßen, die auf dem Weg zum Tahrir-Platz seien und sicherlich
nichts Gutes im Sinn hätten. Die Anwältin ließ in ihrer Kanzlei im Zentrum
Kairos alles liegen und stehen und lief zum Tahrir-Platz, um ihr einziges Kind
dort heil herauszuholen. Als sie ankam und ihre Tochter schließlich fand,
während gleichzeitig die Schläger über den Platz herfielen, schrie sie sie an,
was sie denn hier noch mache und warum sie sich nicht in Sicherheit gebracht
habe. Die Tochter sah ihre Mutter nur entgeistert an und schrie zurück, was
sie hier zu suchen habe, jetzt müsse sie nicht nur den Tahrir, sondern auch
noch ihre Mama vor den Schlägern schützen. Am Ende hatten beide den Platz
erfolgreich verteidigt.
Gerade
einmal ein halbes Jahr vor der Revolution hatte ich als Journalist selbst
begonnen, mit den neuen Medien zu experimentieren. Zunächst, indem ich meinen
eigenen Blog mit dem Namen „Arabesken" (blogs.taz.de/arabesken) begann und dort
auch über die Willkür der arabischen Regime meine Einträge schrieb. Dann,
indem ich meine eigene Facebookseite facebook.com/Karims.Arabesken und mein
Twitter- Konto twitter.com/gawhary eröffnete. Das war zu einer Zeit, als uns
die ersten Statistiken überraschten, die besagten, dass es in Ägypten bereits
mehr Facebook-Nutzer als Tageszeitungs- Leser gäbe. Das war an sich schon
bemerkenswert. Dass ausgerechnet Blogs, Facebook und Twitter die neuen Instrumente
werden sollten, mit denen zum Aufstand mobilisiert wurde, das hatten sich
selbst die Internet-Aktivisten in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen
können.
Was liegt da näher, als die Ereignisse selbst mit Blog-Einträgen, Facebook-Postings
und Twitter-Tweets wiederzugeben? Indem es diese mit Zeitungsreportagen und
Live- Gesprächen für Radio und Fernsehen mischt, versucht dieses Buch etwas
Neues: mit aus dem Moment geschriebenen und gesprochenen Beiträgen eine
Unmittelbarkeit herzustellen und den Leser auf eine ungestüme, ungewöhnliche revolutionäre
Abenteuerreise mitzunehmen. Das Buch ist ein Rückblick, ein Zeitdokument, das
die Leser direkt zu den Orten und Zeiten bringt, an denen die Revolution stattgefunden
hat. Nach dem Raumschiff-Enterprise-Motto: „Scotty, beame mich zum
Tahrir-Platz!"
Dies ist keine Analyse, keine Nacherzählung oder Aufzählung der
Ereignisse, die die arabische Welt praktisch über Nacht umwälzten. In
vielerlei Hinsicht waren diese zu groß, zu schnell, zu komplex für uns
Journalisten, um sie zu begreifen, zu beschreiben und in erklärbaren Portionen an
die Leser, Zuschauer und Zuhörer weitergeben zu
können. Die Jugendlichen auf der Avenue Bourguiba in Tunis, auf dem
Tahrir-Platz in Kairo und die Revolutionäre vor dem Gerichtsplatz in Bengasi,
sie alle haben in einer Geschwindigkeit Geschichte geschrieben, mit der wir
Journalisten nur atemlos versuchen konnten mitzuhalten. Meist liefen wir den
Ereignissen hinterher, angesteckt von ihrer Wichtigkeit und dem Enthusiasmus
jener, die sie vorantrieben.
Es sind Nahaufnahmen aus der Revolution: Denn hier
geht es nicht um die arabische Revolution als Studienobjekt, es geht um die
zahllosen Menschen, die sie getragen haben, ihre persönlichen Motive und ihre
Träume. Was hat sie bewegt, nach drei Jahrzehnten Herrschaft Hosni Mubaraks auf
die Straße zu gehen? Was bedeutet es, plötzlich seine Angst zu verlieren, im
Tränengasnebel zu stehen, von der Polizei niedergeknüppelt zu werden, seinen
Freund neben sich zu sehen, der von einem Scharfschützen des Regimes niedergestreckt
wird, und doch am nächsten Tag wieder auf die Straße zu gehen? Welche
Verzweiflung, welcher unglaubliche Mut, aber auch welcher Optimismus steckt dahinter?
Warum sind eigentlich immer mehr und noch mehr Menschen auf den Tahrir-Platz
gekommen?
Exemplarisch dafür, wie die Ereignisse immer mehr Menschen in
ihren Bann gezogen und gegen das Regime mobilisiert haben, ist die Geschichte
des ägyptischen Chirurgen Tarek Hilmi, der mitten in der Revolutionszeit in
einer bekannten Talkshow einer privaten ägyptischen Fernsehstation einen denkwürdigen
Auftritt hatte, der vieles erklärt: wie die Jugendlichen den Anfang machten,
wie langsam eine ganze Familie zu Revolutionären wurde und wie eine Geschichte ein
Millionen-Fernsehpublikum dazu zu brachte zu sagen: „So geht es nicht weiter,
wir müssen etwas unternehmen."
Er sei ein völlig unpolitischer Mensch,
erzählte Hilmi in der Talkshow „10 Uhr abends" im ägyptischen „Dream TV" am 7.
Februar 2011, geleitet von der prominenten Moderatorin Mona Schazly. Sein Leben
habe sich bisher zwischen seiner Familie zu Hause und dem Operationssaal im
Krankenhaus abgespielt. Zunächst kamen hauptsächlich Jugendliche auf den
Tahrir-Platz, die sich über Facebook verabredet hatten. Eine von ihnen war
Tarek Hilmis Tochter, die ihrem Vater in den ersten Tagen verkündete, dass sie
nun auch zum Tahrir gehe, weil alle ihre Freunde dort seien. Ihr Vater und auch
ihr Bruder versuchten es ihr auszureden. Das sei zu gefährlich und „Was haben
wir mit Politik zu tun?", meinten sie. Die junge Frau ließ sich aber nicht
davon abhalten. Bald darauf erhielt der Arzt einen Anruf von seinem Sohn, der
noch kurz zuvor versucht hatte, seiner Schwester den Tahrir auszureden. „Papa",
sagte er am Telefon, „einige meiner besten Freunde wurden auf dem Tahrir
verletzt, ich muss dort hin." Weder Tochter noch Sohn kamen nach Hause, sie übernachteten
auf dem Platz. Der Arzt erzählt in der Talkshow weiter, dass er kurz darauf
einen Anruf von seiner Tochter erhalten habe. Sie flehte ihn an, selbst auf den
Platz zu kommen. Es gebe zu viele Verletzte, und Ärzte wie er wuürden dringend
in dem improvisierten Krankenhaus des Platzes gebraucht. Tarek Hilmi war überzeugt,
dass seine Tochter übertreibe. Aber er ließ sich trotzdem überreden, ein
kleines Team zusammenzustellen und auf den Platz zu kommen. Er sollte den Platz
tagelang nicht mehr verlassen.
Dann erzählte er in der Talkshow von seinen
eigenen Erlebnissen, von einem 13-jährigen Jungen, den die Schläger Mubaraks am Rand des Platzes in ihre
Fänge bekommen hatten. Er hatte eine tiefe Schnittwunde quer über den Kopf. Der
Arzt vernähte die Wunde, doch als er sie verbinden wollte, lief der Junge
davon. „Ich habe keine Zeit, ich muss unseren Platz verteidigen", rief er noch.
In der Talkshow gerät Tarek Hilmis Stimme ins Stocken, bricht, er kann nicht
mehr weitersprechen. Lange versucht die Moderatorin ihn zu beruhigen, bevor der
Arzt die Geschichte weitererzählen kann. Er habe den Jungen noch einmal
gesehen, führt er weiter aus. „Mit einem Kopfschuss, einem Loch im Kopf - er
war tot."
Die Show, „10 Uhr abends" hat ein Millionenpublikum. Am nächsten Tag,
einem Dienstag, es war ein Tag, an dem die Aktivisten auf dem Tahrir-Platz
nicht besonders mobilisiert hatten, das war meist dem Freitag vorbehalten - an
diesem Dienstag fanden sich mehr Menschen auf dem Platz ein als je zuvor, weit über eine Million.
Es gab viele solche Geschichten, die die Menschen auf die Barrikaden
gebracht haben und die erklären, warum sie immer zahlreicher auf den
Tahrir-Platz kamen, warum sie eine kritische Masse erreichten, mit der kein
Sicherheitsapparat der Welt mehr umgehen kann. Auch wenn beileibe nicht jeder
und jede auf den Platz kam, am Ende hatte ein ganzes Land den Tahrir-Platz als
Konzept im Kopf und trug ihn im Herzen. Das war das Ende des Unrechtsregimes
Mubaraks, wovon zuvor kaum jemand zu träumen gewagt hatte.
Hätte man ahnen
können, dass der arabischen Welt ein solches Erdbeben bevorsteht?
Jahrzehntelang hatten die ägyptischen Intellektuellen von einer bevorstehenden
Explosion gesprochen. Das erste Mal habe ich solchen Diskussionen Anfang der 1990er Jahre zugehört,
als ich nach Kairo gezogen war. Es könne so einfach
nicht weitergehen. Die Schere zwischen Arm und Reich werde immer größer, die
Korruption, die Willkür, die Unterdrückung immer unerträglicher. Demnächst
werde es, müsse es knallen. Sie haben es so oft wiederholt, bis sie es selber
nicht mehr glaubten.
Aber ich erinnere mich auch an den großartigen, inzwischen
verstorbenen ägyptischen Politologen Mohammed Sid Ahmad, der mir jungem
Journalisten in seiner Wohnung auf der Nilinsel Zamalek oft und oft in
druckreifen Worten in meinen Notizblock diktiert hatte, wie die arabische Welt funktioniert.
Auch er sprach immer wieder von der bevorstehenden Explosion und lachte schon
selber darüber. Aber er sagte auch: „Wenn hier in Ägypten die Revolution
ausbricht, wirst du 24 Stunden vorher keinen Schimmer haben, was dir
bevorsteht."
Aber vielleicht hätte man doch auch ohne Kristallkugel den Gang
der Dinge voraussagen können, auch wenn nach jahrzehntelanger arabischer Autokraten-Herrschaft
und vollkommener politischer Stagnation alles vermeintlich unveränderbar
aussah. Man hätte diese von einer Armada von Sicherheitsapparaten geschützten
Systeme als das ansehen können, was sie waren: historische Auslaufmodelle, mit denen
kein Staat mehr zu machen war.
Ägypten schien mit seinem 83-jährigen, greisen
Präsidenten wie politisch paralysiert. Zumal diese Lähmung mit der Diskussion, ob
nicht die Macht Hosni Mubaraks weiter an seinen Sohn Gamal vererbt werden
könnte, für eine Ewigkeit festgeschrieben schien. Die Mächtigen schienen fest
im Sattel zu sitzen. Nicht zuletzt, weil man sie in Europa und in den USA als
Garanten der Stabilität hofierte. Ab und an gab es Anzeichen eines wachsenden
Unmuts, wenn die immer gleichen 200 Verdächtigen der Kifaya, der „Es reicht"-Bewegung, wieder einmal an einer Straßenecke Kairos protestierten. Oder wenn
die Arbeiter der staatlichen Textilfabriken in den Ausstand gingen.
Doch der
Sicherheitsapparat schlug jeden Protest nieder. Er war sich seiner Sache
sicher. So sicher, dass zwei Polizisten in Alexandria im Juni 2010 auf offener
Straße, vor Passanten als Augenzeugen, einen Jugendlichen zu Tode prügelten. Wer
sollte in einem Land, das seit Jahrzehnten mit Notstandsgesetzen regiert wurde,
die den Sicherheitsdiensten uneingeschränkte Macht gaben, schon etwas dagegen
sagen können?
Normalerweise wäre ein solcher Vorfall bestenfalls in irgendwelchen
Menschenrechtsberichten aufgetaucht, die bestenfalls von einem halben Dutzend
ausländischer Journalisten gelesen worden wären, die dann das Ganze bestenfalls
in irgendeinem Bericht über Ägypten erwähnt hätten. Aber manchmal wird die Würde
einmal zu viel mit den Füssen getreten. Denn nicht das Brot, sondern dieses altmodisch
klingende Wort „Würde" sollte in den folgenden Monaten im Zentrum des
arabischen Aufstands stehen. Und die Polizistenschläger in Alexandria, die
hatten ihre Rechnung ohne Facebook gemacht ...
Kairo: Die Tage des Zorns
24.1.2011
Die Ägypter kündigen ihren Aufstand auf Facbook an und verlieren auf der Straße ihre Angst
Arabesken, tazblog 24.1.2011
Adieu
Aufstand in Tunis und Hallo „Tag des Zorns" in Kairo
Für morgen, den 25. Januar, wurde in Ägypten nach
tunesischem Vorbild via Facebook, Twitter und Blogs zum Tag des Zorns gegen das
Regime aufgerufen. Gegen das seit drei Jahrzehnten herrschende Regime Hosni
Mubarak sollen eine Menge dezentraler Aktionen stattfinden.
In dem Aufruf heißt
es: „Nachdem die tunesische Revolution dazu geführt hat, dass die Menschen
ihre Hoffnung zurückbekommen haben, ihren eigenen Willen und ihre Rechte
durchzusetzen, werden die Ägypter an diesem Tag ihre Meinung gegen die
herrschende Macht zum Ausdruck bringen, die seit 30 Jahren eine Politik anführt,
die nur der herrschenden Elite dient."
Was
genau wo stattfinden wird, ist noch unklar, genauso wie die Antwort auf die
Frage, wie die Sicherheitskräfte reagieren werden, die sicherlich auch das
tunesische Beispiel genau studiert haben. Ich habe heute Abend mehrmals Befürchtungen
gehört, dass es in dieser Nacht im Vorfeld eine Verhaftungswelle geben könnte.
Bisher scheint es aber ruhig zu sein. Das Ganze ist jedenfalls ein Testfall, ob
man mit Facebook, Twitter und Blogs tatsächlich eine kritische Masse auf der
Straße mobilisieren kann und das in mehreren Orten Ägyptens gleichzeitig. Ich
werde das morgen auf mich zukommen lassen und dann sicherlich darüber
berichten.
25.1.2011
Tweets auf Twitter
25. Januar 2011, 10:11 Hilfe: Ägypten ist heute zu Protesten nach dem Modell Tunesien aufgerufen. Und im Libanon gibt's Schießereien zwischen Militär und Hariri-Leuten.
25. Januar 2011, 10:17 Die Straßen in Kairo sind aufgrund des Feiertages leer, aber überall ist Polizei. Bisher ist es ruhig.
25. Januar 2011, 12:58 Ich stehe mit Demonstranten vor Regierungspartei in Kairo. Sie rufen „Diebe, Diebe!"
25. Januar 2011, 12:58 Polizei schreitet nicht ein.
25. Januar 2011, 12:59 Ziehen weiter zum staatlichen Fernsehen.
Auf Facebook gepostet
25. Januar 2011, 13:51 Demo hat sich mindestens verdreifacht. Marschieren durch Abu El-Ella. Polizei ist verschwunden.
Tweets auf Twitter
25. Januar 2011, 14:25 Inzwischen wurde Demo von Polizei aufgehalten. An anderen Stellen in Kairo, z.B. in Schubra, hat die Polizei inzwischen begonnen zu prügeln.
25. Januar 2011, 14:26 Bin wieder zurück im Büro, muss schnell etwas schreiben und ziehe dann wieder los. Das verspricht ein interessanter Abend in Kairo zu werden.
25. Januar 2011, 14:26 Das Interessante war, dass uns die Polizei kilometerlang hat laufen lassen und es immer mehr Menschen wurden, die sich spontan angeschlossen haben.
Auf Facebook gepostet
25. Januar 2011, 14:43 In Mansura reißen sie gerade ein großes Bild von Mubarak runter. In der Textilstadt Mahalla Al-Kubra findet eine große Demonstration statt. In Ismailia versammeln sie sich gerade.
25. Januar 2011, 17:12 Am Tahrir-Platz versammeln sich Tausende. Ich komme gerade von dort. Die Polizei schaut im Moment zu.
25. Januar 2011, 17:56 Die Polizei geht mit Tränengas und Knüppeln gegen die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz vor. Sie schalten dort auch gerade das Licht aus. Das Handynetzwerk Mobinil wurde in der Innenstadt abgeschaltet. Auch Twitter funktioniert nicht.
25. Januar 2011, 18:32 Mein Handy funktioniert wieder. Netzwerk ist wieder eingeschaltet.
25. Januar 2011, 18:59 Um 19:30 kommt in der ZIB im ORF 2 unser Bericht von den heutigen Demonstrationen in Kairo. Leider haben wir nur eine Minute bekommen.
25. Januar 2011, 19:18 Jetzt baut sich eine Polizeikette vor unserem Bürofenster vor dem staatlichen Fernsehgebäude auf. Die nächste Demonstration kommt um die Ecke. Das sieht nicht so aus, als würde das nachlassen.
25. Januar 2011, 19:38 Bericht ist fertig. Ich gehe jetzt wieder zum Tahrir- Platz. Dort habe ich von meiner ARD-Rundfunkkollegin Esther Saoub gehört, dass sich die Polizei inzwischen wieder in die Seitengassen zurückgezogen hat. Es herrscht eine regelrechte Volksfeststimmung. Wer immer in Kairo ist, kommt zum Tahrir, da wird gerade Geschichte geschrieben.
25. Januar 2011, 21:19 Komme gerade vom Tahrir-Platz. Das ist wirklich ein Volksfest. Die Polizei hat sich zurückgezogen. Interessant war, dass einige Größen der ägyptischen Oppositionsparteien vorbeigekommen sind, um zu sprechen. Sie wurden von den Jugendlichen niedergeschrien. Sie sagten: „Was wollt ihr, das ist unsere Revolution!"
25. Januar 2011, 21:20 Allerdings habe ich auch gehört, dass in den Seitenstraßen einige Leute vom Geheimdienst verhaftet wurden.
25. Januar 2011, 21:22 Viele der Jugendlichen haben gesagt, dass sie auf dem Platz übernachten wollen. Leute bringen Essen und Getränke vorbei. Eine tolle Stimmung. Ich hoffe, es bleibt dabei und die Polizei macht in der Nacht keinen Unsinn.
Arabesken, tazblog25.1.2011
Der
absolute Wahnsinn in Kairo
Das war
zweifelsohne einer der aufregendsten Tage meines Lebens. Ich komme gerade vom
Tahrir-Platz im Zentrum Kairos. Es ist 22:00 Kairoer Zeit. Tausende haben sich
dort versammelt. Es herrscht eine Volksfeststimmung. Nachbarn bringen Kartons
mit Wasser und Essen vorbei und verteilen sie an die Demonstranten. Läden haben
geöffnet und stellen ihre Toiletten zur Verfügung. Viele Urheberrechtlich geschütztes Material 60 der Jugendlichen sagen, sie wollen
heute auf diesem Platz übernachten. Ich bin dort dem ägyptischen
Schriftsteller Alaa Al-Aswani begegnet, dessen Bücher auch ins Deutsche übersetzt
wurden und der vor zwei Jahren mit dem Bruno-Kreisky-Preis ausgezeichnet wurde.
Ich habe ihn gefragt, wie er sich heute fühlt. Seine Antwort: „Das ist ein
historischer Tag, ab heute gibt es kein Zurück mehr."
Und auf meine Frage, ob
Mubarak auch bald in ein Flugzeug steigt, hat er gelacht und gesagt: „Ich
hoffe, dass das so bald wie möglich geschieht."
Interessant war das Verhalten
der Polizei heute. Als die Demonstrationen mittags begannen, ist sie
stundenlang überhaupt nicht eingeschritten. Wir standen vor dem Gebäude der
Regierungspartei an der Niluferstraße, die Demonstranten riefen „Diebe, Diebe!"
und die Polizisten standen da und verkniffen sich ein Lächeln. Einer zückte sein
Handy, um ein Erinnerungsfoto zu machen. Ich habe ihn gefragt, warum: „So etwas
habe ich noch nie erlebt", sagte er begeistert.
Dann gab es am Nachmittag doch
ein paar Zusammenstöße mit der Polizei. Die ging mit Schlagstöcken gegen die Demonstranten
vor, die jegliche Angst verloren haben und die Polizisten mit einem Steinhagel
eindeckten. Am Ende liefen die Demonstranten hinter den Polizisten her, die zum
ersten Mal in Ägypten selbst zu Gejagten wurden. Später hat sich die Polizei
dann vollkommen vom Tahrir- Platz zurückgezogen. Sie wartete in den
Seitengassen ab, was passiert. Nur eine Kette hat sich sicherheitshalber vor dem
Ägyptischen Museum aufgebaut. Hoffentlich macht die Polizei heute Nacht keinen
Blödsinn. Ich habe gehört, dass der Geheimdienst vereinzelt Demonstranten in
den Seitengassen verhaftet hat. Aber es ist in der Tat schwer vorzustellen, wie das Regime die
Situation noch herumdrehen kann, ohne ein Blutbad anzurichten. Dabei darf man
nicht vergessen, dass meine heutigen Erlebnisse nur ein ganz kleiner Ausschnitt
des heutigen Tages in Ägypten waren. Es fanden überall im Land ähnliche
Demonstrationen statt, von Alexandria übers Nildelta bis zum Suezkanal.
Morgen
wird sicherlich erneut ein aufregender Tag. Nur noch ein letzter Hinweis:
Leider funktioniert Twitter im Moment nicht. Wer an regelmäßigen Updates
interessiert ist, sollte auf meine Facebook-Seite zurückgreifen.
Auf Facebook gepostet
25. Januar 2011, 23:03 So, Schluss für heute. Ich fahre nach Hause. Morgen wird ein langer Tag. Ich muss um fünf aufstehen, für ein Live-Gespräch mit dem Schweizer Rundfunk und ein Frühstück für das Morgenjournal des ORF-Radios Ö1. Der Rest des Tages wird sicherlich lange und aufregend.
taz.de, 25.1.2011
„Diebe,
Diebe!" rufen die Menschen
In
mehreren Städten wurde gegen die 30-jährige Herrschaft von Präsident Mubarak
demonstriert. Vorbild ist Tunesien. In Kairo mündete der friedliche Protest in
Gewalt.
Kairo. In Ägyptens Hauptstadt ist es am Dienstag bei einer gegen
das Mubarak-Regime gerichteten Demo zu Ausschreitungen gekommen. Dabei setzte
die Polizei Tränengas und einen Wasserwerfer ein, um die Menschen
auseinanderzutreiben. Einige Demonstranten warfen Steine, griffen einen Wasserwerfer an und forderten den
Fahrer zum Verlassen des LKW auf. Als die Menschen eine Absperrung durchbrechen
wollten, setzte die Polizei Schlagstöcke ein. Es war die größte Demonstration
in Ägypten seit Jahren.
„Tunesien, Tunesien, lasst es uns machen wie Tunesien",
hatte die kleine Gruppe von Demonstranten gerufen, die sich auf dem Tahrir, dem
Platz der Befreiung im Zentrum Kairos, zur Mittagszeit versammelte. Es waren
die 200 üblichen Verdächtigen aus der Kifaya-Bewegung („Es reicht!"-Bewegung),
in Anspielung auf die drei Jahrzehnte dauernde Herrschaft von Präsident Hosni
Mubarak: ein paar Schüler und Studenten, ein paar Intellektuelle.
Und dann
geschah etwas völlig Neues. Der Demonstrationszug setzte sich in Bewegung und
die angerückte Bereitschaftspolizei sah untätig zu. Als der Zug die Nilbrücke
erreichte, waren es bereits doppelt so viele Menschen. „Nieder mit Mubarak!",
riefen sie. Zwar sperrte die Polizei mit einer Kette die Nilbrücke ab, aber
der Zug bog Richtung Niluferstraße ab.
„Das verspricht, ein interessanter Tag
zu werden", meint Mustafa Hussein, einer der Demonstranten, der als Psychologe im
Nadim-Zentrum arbeitet, das Folteropfer betreut. „Die Polizei hat
offensichtlich die Anweisung, nicht einzuschreiten", glaubt er. Dann steht der
Zug vor dem Gebäude der Regierungspartei. Auf dem Dach stehen einige
Mitarbeiter und blicken hinunter, nehmen die Szene mit ihren Handykameras auf. „Diebe,
Diebe!", schreien die Demonstranten. Ein Polizist auf der Straße zückt
ebenfalls sein Handy, um die denkwürdige Szene aufzunehmen. „Das habe ich noch
nie erlebt", grinst er.
„Kommt mit, streift eure Angst ab", rufen die
Demonstranten den Passanten zu. Viele schließen sich spontan an. Zu diesem Zeitpunkt hat sich die
Länge des Zuges bereits verzehnfacht. „Ich bin 20 Jahre alt, ich habe nichts
anderes als Mubarak erlebt. Ich bin heute das erste Mal auf eine Demonstration
gekommen, einfach um zu zeigen, dass es genug ist", erklärt Islam Hassan, der
gerade begonnen hat, als Übersetzer zu arbeiten. „Ich habe Glück gehabt, viele
meiner Freunde, die mit mir Deutsch studiert haben, haben keine Arbeit bekommen",
erzählt er.
In Ägypten herrschen ähnliche Verhältnisse wie in Tunesien, mit
einer hohen Jugendarbeitslosigkeit, Armut, grassierender Korruption und einer
Machtelite, die seit Jahrzehnten das politische Leben monopolisiert hat. Bei
den Parlamentswahlen im vergangenen Herbst war es zu massiven Wahlfälschungen
zugunsten der Regierungspartei gekommen.
In Kairo finden gleichzeitig
mindestens fünf weitere Demonstrationen statt. Mehrere tausend meist junge
Leute haben sich in Schubra versammelt, einem Viertel im Zentrum Kairos, in dem
viele Kopten leben. Dort spielten sie Katz und Maus mit der Polizei. Die hatte
gerade mühevoll die Hauptstraße mit einer Polizeikette abgeriegelt, als die Jugendlichen
in mehrere Seitengassen abbogen, um dann ein paar Straßen hinter der Polizeikette
auf der Hauptstraße aufzutauchen. Vereinzelt kam es dort zu Prügeleien. Gleichzeitig
wurde in Alexandria demonstriert, aber auch die Arbeiter der staatlichen
Textilfabriken in der Nildeltastadt Mahalla Al-Kubra versammelten sich. Aus der
Nildeltastadt Mansura kommen Berichte, dass Demonstranten große Mubarak-Poster
abgerissen hätten. Auch in Ismailia am Suezkanal begannen sich am Nachtmittag Tausende
Menschen zu versammeln. Selbst im Nordsinai fingen Beduinen an, in Richtung des
Flughafens in Al- Arish zu ziehen.
Für den „Tag des
Zorns" in Ägypten steht die tunesische Revolte Pate. „Nachdem die tunesische
Revolution dazu geführt hat, dass die Menschen ihre Hoffnung zurückbekommen haben,
ihren eigenen Willen und ihre Rechte durchzusetzen, werden die Ägypter an
diesem Tag ihre Meinung gegen die herrschende Macht zum Ausdruck bringen, die
seit 30 Jahren eine Politik anführt, die nur der herrschenden Elite dient",
heißt es in einem Aufruf. Fast 80.000 Menschen hatten in den letzten Tagen via
Facebook versprochen, sich den Protesten anzuschließen. „Das ist der Anfang vom
Ende des Regimes", schrieben die Initiatoren des Protests auf Facebook.
26.1.2011
Auf Facebook gepostet
26. Januar 2011, 00:26 Die Polizei beginnt anscheinend den Tahrir-Platz in Kairo zu räumen, mit Wasserwerfern, Tränengas und Elektroschlagstöcken. Bin selbst nicht mehr da, aber habe ein paar Telefonate erhalten.
Arabesken, tazblog
26.1.2011
Der erste ägyptische Tag des Zorns
Für
die ägyptische Protestbewegung gegen das Regime des ägyptischen Präsidenten
Hosni Mubarak gibt es eine neue Zeitrechnung: die Zeit vor und nach dem 25.
Januar 2011. Die Organisatoren der von Tunesien inspirierten Proteste hätten
sich wohl nie träumen lassen, dass ihre Aufrufe im Internet via Facebook,
Twitter und Blog ein derartiges Echo finden werden. Überall
im Land wurde gestern demonstriert, nicht nur in Kairo, sondern auch in
Alexandria, den Nildelta-Städten Mansura, Tanta und der dortigen
Textilarbeiterstadt Mahalla Al-Kubra. Aber auch in Ismailia am Suezkanal und
selbst in Assiut in Oberägypten zogen die Menschen durch die Straßen und riefen
„Stürzt Mubarak!" Die Sicherheitskräfte, die sich tagsüber zurückgehalten
hatten und die bei den Versuchen einzuschreiten von den Demonstranten zurückgeschlagen
wurden, nutzten schließlich die Gunst der Nacht und die Tatsache, dass viele
Demonstranten zu später Stunde nach Hause gegangen waren.
Bei der größten
Protestveranstaltung auf dem Tahrir im Zentrum Kairos, die den ganzen Abend in
ein Volksfest umgewandelt worden war, nachdem sich die Polizei in die
Nebenstraßen zurückgezogen hatte, schlug die Polizei schließlich um ein Uhr
morgens zu und jagte die Demonstranten stundenlang durch die Nebenstraßen. Es
ist noch unklar, wie viele Verletzte es dabei gab und wie viele Menschen
verhaftet wurden. In der östlichen Nildeltastadt Mansura ereigneten sich
ähnliche Szenen. Tagsüber eine völlig überforderte Polizei, die dann nachts
mit Tränengas alles auflöste.
Der Tahrir-Platz der Befreiung in Kairo ist heute
Morgen vollkommen aufgeräumt. Über Nacht haben die städtischen Reinigungskräfte
alle Spuren des Protestes beseitigt. Die Regierung würde den gestrigen Tag
wohl am liebsten vergessen machen. Ob das klappt, werden wir im Laufe des Tages
sehen. Ich habe meine Zweifel.
Am Ende noch ein Hinweis: Twitter funktioniert
immer noch nicht. Der Internet-Kurznachrichtendienst, den ich unter @gawhary
benutze, um Leser und Leserinnen aktuell mit Nachrichten zu versorgen, ist in Ägypten
blockiert. Ich werde daher versuchen, das gleiche auf meinem Facebook- Account
zu machen.
Werbung